Die Hintergründe der „Warnung“:
Wie eine irische PR-Dame die Welt narrt
Von Michael Hesemann
„Sie fragten (Jesus): Meister, wann wird das geschehen (die Endzeit) und an welchem Zeichen wird man erkennen, dass es beginnt? Er antwortete: Geb Acht, dass man euch nicht irreführt! Denn viele werden unter meinem Namen auftreten und sagen: Ich bin es!, und: Die Zeit ist da. – Lauft ihnen nicht nach.“ (Lk 21, 7-8)
Seit Monaten sind die Botschaften der „Warnung“ ein Thema bei vielen kirchentreuen Christen, an manchen Gebetsstätten und Wallfahrtsorten haben sich ihre Anhänger bereits so breit gemacht, dass Bücher über den amtierenden Papst Franziskus als Ladenhüter gelten. Für sie endete das Papsttum, das Zeitalter der Kirche, mit dem Rücktritt Benedikts XVI. Franziskus halten sie für den „falschen Propheten“, der dem Antichristen vorausgeht. Denn wir leben, so sind sie überzeugt, in der letzten Phase der Endzeit. Christus kommt bald, ganz wie er es „seiner Prophetin“ höchstpersönlich vorausgesagt hat.
Doch wie konnte aus einem – im englischen Original – rund 2000seitigen Gesamtwerk, das sich bescheiden „Das Buch der Wahrheit“ nennt, eine sektiererische Bewegung entstehen, die das Schisma, die Kirchenspaltung, propagiert? Welche Rolle spielen die „Warnungs“-Jünger bei den böswilligen Verdrehungen und Unterstellungen, deren Opfer der argentinische Papst seit seiner Wahl am 13. März 2013 wiederholt wurde? Wer schließlich ist „Maria Divine Mercy“, die mysteriöse „Prophetin“, die seit dem 8. November 2010 über 970 Botschaften der Gottesmutter, Jesu, ja sogar Gottvaters „empfangen“ haben will?
VOM PR-GURU ZUR PROPHETIN
Die Informationen, die sich in der deutschen Ausgabe des „Buches der Wahrheit“ finden, sind spärlich. Danach war die „Seherin“ Maria vor ihrer prophetischen Berufung eine „lau praktizierende“ Katholikin, „Mutter von vier Kindern“, die „ein geschäftiges und erfülltes Leben“ führte: „Sie glaubte an Gott, aber sie war nicht im traditionellen Sinn fromm.“ Sie selbst erklärte am 11.10.2011 in einem Interview mit "Radio Maria": "Ich war eine erfolgreiche Geschäftsfrau". In einem zweiten Interview am 17.12.2011 bestätigte sie, in Irland zu leben. Erst im November 2013 enthüllte der irische Theologe Ronald Conte jr. ihre Identität. Bei „Maria Divine Mercy“ handelt es sich danach um die irische Geschäftsfrau Mary Carberry geb. McGovern, 58 Jahre alt und Mutter von mindestens zwei Kindern, Sarah (28) und David (26) Carbery. Gemeinsam mit ihrem Ehemann John leitet sie seit März 1982 die Agentur „McGovern PR“, die sich zunächst auf „Public Relations, Marketing, Journalismus“ und seit der Jahrtausendwende auch auf „Digitale Kommunikation“ spezialisierte. Auf ihrer LinkedIn-Seite beschreibt sie sich wie folgt: „Erfahren in allen Bereichen der Marketing-Kommunikation, insbesondere PR. Ein früher Internet-Anwender, richtete in Zusammenarbeit mit AOL einen Informationsdienst über Irland für Amerikaner irischer Abstammung ein. Heute zunehmende Geschäfte auf dem digitalen Sektor. McGovern PR startete die Schwesterfirma Future Media, um als einer der Ersten in Irland digitale Inhalte und digitales Marketing anbieten zu können. (…) Spezialität: Sehr erfahrene Medienpublizisten kreieren Kampagnen für Unternehmer, Konsumenten und das öffentliche Bewusstsein. Wir starten Onlinekampagnen, die schnell Beachtung finden und hochwertige Datenbanken erzeugen, wie sie heute von Marken benötigt werden. Wir kreieren ungewöhnliche Online-Episoden und Ereignisse rund um Marken, die bei ihren Zielgruppen zu Interesse und Debatten führen.“ ZoomInfo gibt den jährlichen Umsatz des Unternehmens mit „1-5 Millionen Dollar“ an, die Mitarbeiterzahl mit „10-20“ und bezeichnet Mary McGovern als „führenden PR-Guru“ der grünen Insel. Interviews aus dieser Zeit lassen sie als ehrgeizige Karrierefrau erscheinen. „Bis zu einem gewissen Grad ist die Ansicht, dass nette Mädchen nicht reich werden können, wahr“, erklärte sie etwa dem irischen „Independent“ am 5. September 2008, „erfolgreiche Menschen sind zu 80 % ihrer Zeit angenehm, nett und ruhig; aber sie können auch rücksichtslos sein. Eine gewisse Skrupellosigkeit ist in jeder Frau, die Erfolg hat.“ Und: „Wir sind von reichen Frauen fasziniert, gleich, wie sie ihr Vermögen gemacht haben. Je reicher sie sind, je mehr sind sie unsere Idole.“ Auf ihrer LinkedIn-Seite enthüllt sie auch ihre privaten Leidenschaften: „Lese Thriller der Knife Edge (dt. Das zweite Gesicht)-Reihe und schaue mir TV-Dokumentationen an“.
Stolz verweist Mary McGovern auf den Erfolg ihrer Firma: „McGovern PR gewann zahlreiche internationale Auszeichnungen und erhielt viermal den UK Marketing- und Kommunikationspreis, darunter 2006 als beste PR-Firma sowie in 2008 den Marketingpreis für Portugal, den US-Preis als beste internationale PR-Firma und den UK-Preis als beste PR-Firma, der vom International Property Magazine in Zusammenarbeit mit CNBC TV, der Daily Mail und der New York Times vergeben wurde.“ Dieser Erfolg erlaubte dem Ehepaar McGovern/Carberry den Kauf eines 850.000 Euro teuren, schmucken, weißen, zweistöckigen Einfamilienhauses in der Muldowney Court-Straße des „angesagten“ Dubliner Vororts Malahide, malerisch in Strandnähe gelegen. Doch als es im März 2003 eine Hypothek in Höhe einer halben Million Euro auf sein Haus aufnahm, wohl um das Geld in eine Expansion seines Unternehmens zu investieren, wurde ihm dies fast zum Verhängnis. „Ehepaar fürchtet, wegen rückständiger Hypotheken sein Haus zu verlieren“, vermeldete der irische „Independent“ am 8. Dezember 2009. Seit zehn Monaten hatten John und Mary Carberry ihre monatlichen Rückzahlungen in Höhe von 5217 Euro nicht leisten können; sie standen vor einem Schuldenberg von 491.000 Euro. Der Richter gab ihnen bis Ende Januar 2010 Zeit, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Die Tatsache, dass sie heute noch in diesem Haus wohnen, lässt darauf schließen, dass die Carberries eine Lösung für sein Finanzproblem fanden.
Es ist billig, eine Verbindung zwischen dem drohenden Offenbarungseid und dem Beginn der himmlischen Offenbarungen im November 2010 zu vermuten, auch wenn an der „Warnung“ vor allem die Professionalität ihrer weltweiten Vermarktungskampagne beeindruckt. Sie erscheint wie das Meisterstück einer genialen PR-Maschinerie. Doch vielleicht hat sich der Himmel ja auch bewusst die bestmögliche irdische PR-Agentur gesucht, um seine Botschaften effizient zu verbreiten.
Wahrscheinlicher aber ist eine andere Annahme. Der seelische Stress, die Sorge, ihr Lebenswerk zu verlieren, die Angst vor dem Verlust des Heims und ihres sozialen Status als erfolgreiche Karrierefrau könnten Mary McGovern-Carberrys Psyche für andere Einflüsse geöffnet haben.
WIE AUS MARY MCGOVERN MARIA DIVINE MERCY WURDE
Glauben wir ihrer eigenen Schilderung, so war es keine himmlische Erscheinung, sondern eher eine Inbesitznahme, die ihrer Berufung zur Prophetin vorausging. Am 9. November 2010 wachte sie nachts gegen 3.00 Uhr früh auf und „war sich bewusst, dass ihr Körper sich anders anfühlte … (sie) fühlte sich schwerelos und spürte ein unbeschreibliches Kribbeln im Bauch“. Es folgte „eine Reihe von starken Emotionen, sowohl körperliche als auch geistige, die wie ein elektrischer Strom durch ihren ganzen Körper fuhren“. Erst jetzt bemerkte sie, wie ein Jesus-Bild auf dem Nachtschränkchen mit ihr zu kommunizieren schien. „Und dann hatte sie diesen starken Drang, das aufzuschreiben, von dem sie wusste, dass Jesus ihr es mitteilte.“ Sie schrieb wie im Wahn. „Die Botschaft, die ihr diktiert wurde, beinhaltete 745 Wörter und sie benötigte genau 7 Minuten, um diese Nachricht Wort für Wort niederzuschreiben, von Anfang bis Ende.“ Das freilich erinnert mehr an das „automatische Schreiben“ okkulter Medien als an eine echte, himmlische Offenbarung. Der Jesus, den sie sah, zeichnete sich durch „durchdringend blaue Augen“ aus und „war umgeben von einem blendenden, scharfen Licht“. Was er ihr offenbarte, war freilich schmeichelhaft: „Maria wurde gesagt, dass die Wiederkunft Christi unmittelbar bevorsteht und dass sie der letzte Bote, der letzte Prophet ist. Ihr wurde gesagt, dass sie der siebte Bote, der siebte Engel ist, welcher der Welt den Inhalt der Siegel im Buch der Offenbarung verkünden wird … das Buch der Wahrheit, das im Buch Daniel für die Endzeit vorausgesagt worden ist.“ Und der Leser fragt sich unwillkürlich: Geht es nicht auch eine Spur bescheidener?
Doch wie plötzlich war dieser Schritt von der Glitzerwelt der Public Relations, von Marys Dasein als knallharte, clevere Geschäftsfrau, zur „Maria der Göttlichen Gnade“ und Superprophetin der Endzeit? Einer Frau, der es gelang, Zehntausenden gläubigen Katholiken einzureden, der Papst sei der „falsche Prophet“?
Was zunächst nach einer plötzlichen, nächtlichen Berufung klingt, hatte ein Vorspiel, auch wenn das Buch es nur vage andeutet: „In den Monaten vor der ersten Botschaft erlebte sie eine geistliche Erneuerung und hatte private Erscheinungen der Jungfrau Maria, die sie jedoch für sich behielt.“ Doch eine e-mail, die Mary am 1. November 2010, also acht Tage vor ihrer nächtlichen Vision, an den katholischen Theologen und Erscheinungsexperten Ronald Conte jr. schrieb, enthüllt weitere Details:
„Ron, Ich las, was Sie über Garabandal und andere Prophezeiungen von der Wiederkunft Christi schrieben und denke, Sie sollten erfahren, welche Botschaften Joe Coleman, der Visionär, Mystiker und Seher, seit August 2009 erhält.
Ich bin die zweite Visionärin. Wir beide sehen die Gottesmutter und ihren geliebten Sohn Jesus Christus. Ich sehe auch eine Nonne während dieser Erscheinungen, von der ich glaube, dass es Schwester Faustina ist, die polnische Nonne, der in den 1930er Jahren ein Gebet an die Göttliche Barmherzigkeit offenbart worden ist, um die Welt auf die Wiederkunft vorzubereiten. (…) Wir erhalten jeden Monat Botschaften. Von Anfang an bat die Gottesmutter darum, sie zu veröffentlichen. Joe ging an die Öffentlichkeit – ich manage die Website, ging aber nicht an die Öffentlichkeit, da mir der Mut fehlt, die Wahrheit zu sagen. Noch kann ich meine Familie nicht dem aussetzen, was Joes Familie erleiden musste, seit er an die Öffentlichkeit ging.“
Zumindest wissen wir jetzt, weshalb sich Mary „Maria Divine Mercy“ nennt, auch wenn dies kein Ordensname ist und den falschen Eindruck erweckt, sie habe etwas mit den „Schwestern vom barmherzigen Jesus“ zu tun. Doch wer ist dieser Joe Coleman, auf den sie sich beruft?
DER SEHER VON KNOCK
Coleman, der sich selbst als „ungebildeten Dubliner aus der Arbeiterklasse“ bezeichnet, begann seine ungewöhnliche Karriere als spiritistisches Medium und Geistheiler, der behauptete, durch Handauflegen sogar Krebs heilen zu können. Auf seiner website aus dem Jahre 2007 (
http://www.kerrytown-apparitions.com/) heißt es über ihn: „Seit er ein Kind ist, kann er Geister sehen. (…) am 1. Januar 1986 hatte er im Krankenhaus eine Nahtoderfahrung, als sein Herz für einen Moment zu schlagen aufhörte. Als er wieder zu sich kam, war er in der Lage, mit den Geistern zu kommunizieren. Es war ihm möglich, Dinge in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu sehen, von denen er nicht wissen konnte. (…) Um seine Fähigkeiten auszuweiten, erlernte er Geistheilung, Hellsehen und Kommunikation mit Tieren. Er lernte, durch den Heiligen Geist zu arbeiten. 2004 gründete er in Ballyfermot, nahe dem alten Gala-Kino, eine Klinik für Geistheilung und Hellsehen. (…) Er gab Seminare über spirituelles Bewusstsein und Meditation.“ Mit anderen Worten: Er war ganz und gar Esoteriker, als er 2007 nach Kerrytown kam, wo Marienerscheinungen vermeldet wurden. Dort kniete er nieder vor der Statue der Gottesmutter, sah, wie sich ihr Gesicht verwandelte und empfing eine Botschaft: Jeder, der an diesem Tag kommen würde, würde geheilt. Er sei ihr ganz besonders wichtig; jeden Tag würde sie seine Gebete hören. Coleman: „Seitdem spreche ich jeden Tag mit Maria.“
Weil die Kirche sich weigerte, trotz dieser „Bestätigung“ Kerrytown anzuerkennen, verlagerte er sein Wirkungsfeld nach Knock. Dort fand 1879 eine Marienerscheinung statt, die von der Kirche anerkannt worden war; sogar Papst Johannes Paul II. stattete dem Gnadenort 1979 einen Besuch ab. Doch als Joe Coleman für Oktober 2009 dort ein Sonnenwunder ankündigte, waren die Folgen verheerend. 10.000 Gläubige strömten nach Knock, wo der „Seher“ ihnen versprach, sie würden die Gottesmutter sehen, wenn sie nur in die Sonne starrten. Mindestens fünf Pilger erlitten dabei schwere Netzhautverbrennungen, einige verloren später ganz ihr Augenlicht. Andere glaubten, zu sehen, wie die Sonne „tanzt“. Die irischen Bischöfe distanzierten sich daraufhin von Coleman, verboten ihm und seinen Anhängern ein Jahr später, das Heiligtum von Knock für ihre Zwecke zu missbrauchen.
Dazu beigetragen hat gewiss auch die Fragwürdigkeit mancher Botschaften, die Coleman von der Gottesmutter empfangen haben wollte: „Sie wird die Fundamente der Kirche erschüttern, wenn die Leute ihr nicht zuhören, von Rom bis hinüber wo wir gerade sind, bis nach Knock“, hatte er im Oktober 2009 erklärt: „Und die Tore des Himmels werden verschlossen. Sie sagte, das werde sie machen, ich weiß nicht wie, aber sie ist wütend.“ (Zitat:
http://globalcomment.com/joe-coleman-irelands-convenient-new-visionary/) Für 2012 soll er sogar das Wiederauftauchen der versunkenen Stadt Atlantis vorausgesagt haben.
Mary McGovern-Carberry pilgerte vielleicht nach Knock, um Trost und inneren Frieden zu finden, als ihr der Verlust ihrer Existenz drohte. Sie wird um ein Wunder gebetet haben, das sie und ihre Familie vor der drohenden Insolvenz rettete. Erschien es ihr als Antwort des Himmels, als sie plötzlich das Gefühl hatte, selber Botschaften zu empfangen, die sogar ganz konkrete Ereignisse ankündigten? Jedenfalls schrieb sie am 1. November 2010 an Ronald Conte: „Es wurde erwähnt, dass wir alle in die Wolken erhoben würden, doch das war nicht ganz klar. Das schien sich auf das Jahr 2013 zu beziehen, aber wir sind uns da nicht sicher.“ Dass die Vorstellung einer „Entrückung“ vor den apokalyptischen Umwälzungen zwar bei Evangelikalen weit verbreitet, aber keinesfalls Bestandteil der katholischen Eschatologie ist, war ihr offenbar zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst. So waren ihre „Botschaften“ die gleiche Melange aus Katastrophenszenarien, Verschwörungstheorien und Drohungen eines mahnenden, zornigen Gottes bzw. einer zornigen Gottesmutter, wie sie zuvor Joe Coleman serviert hatte. Empathie ist die wichtigste Eigenschaft, die eine gute PR-Dame auszeichnet; sie muss in der Lage sein, sich in ihren Kunden hineinzuversetzen, ja zu denken, wie er. Wurde Mary McGovern mit der gleichen Empathie zur Kopie Joe Colemans, die freilich das Original an Intelligenz und Kreativität bald weit übertraf? Wie auch immer man das Geschehen wertet, es muss bald darauf zum Bruch zwischen den beiden „Sehern“ gekommen sein. Managte Mary McGovern zunächst Colemans website „knockapparitions.com“, wurde diese noch im selben Jahr wieder eingestellt. Nach Aussage einer Quelle aus ihrem Umfeld hatte sie sogar Colemans Buch „The Message“ (Die Botschaft) als Ghostwriter geschrieben und den „Seher“ ins irische Fernsehen und Radio gebracht. Doch als ihre Identität Anfang November 2013 enthüllt wurde und einer seiner Anhänger Coleman fragte: „Ich habe kürzlich viel über Maria Divine Mercy gelesen. Sie versteckt sich hinter ihrem falschen Namen und es heißt, sie sei Mary Carberry. Sie wird mit Ihnen in Verbindung gebracht. Können Sie das bestätigen?“, antwortete dieser am 6.11.2013 um 11.45 Uhr: „Ja, es ist wahr, es ist im ganzen Internet zu lesen, ich habe seit nunmehr drei Jahren nichts mehr von ihr gesehen oder gehört, doch ich bete für sie, dass sie zu Gott umkehrt, der Teufel arbeitet auf vielerlei Weise daran, Menschen zu täuschen und von der Wahrheit fernzuhalten…“ Deutlicher konnte eine Distanzierung von ihr kaum ausfallen.
Doch Joe Coleman war nicht der einzige Kontakt Mary McGovern-Carberrys zu einem vermeintlichen „Seher“. Eine der ersten „Bestätigungen“ für die „Echtheit“ ihrer „Warnungs-Botschaften“ erschien am 18. November 2011 auf der australischen Website „marianworldofatonement.org“: „Little Pebble bat darum, dass die Botschaften einer europäischen Seherin, bekannt nur unter dem Pseudonym Maria Divine Mercy, auf unserer Website erscheinen sollen, um zu ihrer weitestmöglichen Verbreitung beizutragen, wie der Herr es gewünscht hat.“ Dahinter steckt freilich mehr, als auf den ersten Blick offensichtlich wird.
MARIA UND DER „KLEINE KIESELSTEIN“
Denn „Little Pebble“ ist, das kann man getrost sagen, der schamloseste Betrüger, der sich derzeit in der Szene der falschen Propheten und Seher tummelt. Geboren am 16. Mai 1950 in Köln als Wilhelm Kamm und schon früh nach Australien ausgewandert, gibt er an, seit einem 18. Geburtstag mit Gott und der Heiligen Jungfrau zu sprechen. Seit 1983 will er regelmäßige Erscheinungen von Jesus und Maria haben, die ihm seine „göttliche Mission“ offenbarten. Er, der sich (in „demütigem“ Gegensatz zu Petrus, dem Felsen) „kleiner Kieselstein“ nennt („Little Pebble“), solle die Gläubigen in der bevorstehenden Apokalypse anführen bis zur Wiederkunft des Herrn. So gründete er in Nowra eine Kommune, die er „Orden des hl. Charbel“ nannte und sammelte Jünger um sich – nach eigenen Angaben 200 „Ordensangehörige“ vor Ort, 100 weitere in anderen Provinzen des Landes, 500 „freiwillige Mitglieder“ und 750.000 Anhänger in 24 Ländern der Erde. „Gott hat einen Bund mit Little Pebble geschlossen“, behauptete er 2002 auf seiner Website, „Little Pebble ist Marias Prophet, der auf Papst Johannes Paul II. folgen und als letzter Stellvertreter Christi die Kirche führen wird.“ Zuvor würde er von dem polnischen Papst zum Bischof geweiht und als Nachfolger auserkoren werden, um gemeinsam mit ihm den Antichrist zu besiegen. Als Johannes Paul II. 2005 verstarb, erkannte seine Bewegung zwar Benedikt XVI. an, behauptete aber, Johannes Paul II. würde bald von den Toten auferstehen, um Kamm zu weihen, der jetzt dem Ratzinger-Papst im Amte folgen müsse.
Zu diesem Zeitpunkt war Kamms dubioser Orden längst offiziell von der Kirche verurteilt worden. 2002 veröffentlichte der Bischof von Wollongong, Peter Ingham, ein von der römischen Glaubenskongregation bestätigtes Dekret, das Kamms „absurde Annahmen“ ausdrücklich zurückwies. Zwei Theologen und zwei Kirchenrechtler hätten die Schriften des „Sehers“ gründlich geprüft und zu „Irrlehren“ erklärt, die „in klarem Widerspruch zur Lehre, Disziplin und Autorität der katholischen Kirche“ stünden. „Little Pebble“ kündigte daraufhin an, die Diözese auf 300 Millionen Dollar Schadensersatz verklagen zu wollen.
Kurz darauf stand Kamm selber vor Gericht. 2005 wurde er wegen Unzucht mit einer Minderjährigen zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. 2007 folgte eine weitere Verurteilung zu jetzt fünfzehn Jahren Haft wegen eines 15jährigen Mädchens, das er ebenfalls sexuell missbraucht hatte. Kamm verteidigte sich mit der Behauptung, die Gottesmutter habe ihn beauftragt, „12 Königinnen und 72 Prinzessinnen“ um sich zu sammeln, um als „neuer Abraham“ nach der Apokalypse ein neues auserwähltes Volk zu zeugen.
Schon 1991 hatte er sich die damals 19jährige Bettina Lammermann zur Zweitfrau genommen, weil ihm die Gottesmutter offenbart hatte, seine Frau Anna würde „bald in den Himmel kommen“. Statt zu sterben ließ Anna Kamm sich daraufhin allerdings scheiden. Erst als er mit ihr bereits zwei Kinder gezeugt hatte, erfuhr Zweitfrau Bettina, dass der Seher eine dritte „mystische Ehe“ mit dem polnischen Teenager Bozena Golebiowska führte.
Doch auch Kamms Absurditäten haben ihren Vorläufer. So gestand er offen, seine „Berufung“ in Bayside/Long Island empfangen zu haben, das seit 1970 Schauplatz weiterer falscher Marienerscheinungen wurde. Dort (und später auf dem Gelände des Vatikan-Pavillons im Park der Weltausstellung von Flushing Meadows/New York) behauptete die Hausfrau Veronika Lueken, bis zu ihrem Tod 1995 regelmäßig mit der Gottesmutter gesprochen zu haben. Ihre umfangreichen Botschaften wurden von einem aktiven Anhängerkreis in aller Welt verbreitet. Lueken behauptete nicht nur, dass das Ende der Welt durch einen Kometen unmittelbar bevorstünde, sie erklärte auch in den frühen 1970ern, eine Verschwörung im Vatikan habe Papst Paul VI. gestürzt und durch einen Doppelgänger ersetzt. Am 4. November 1986 distanzierte sich das Bistum Brooklyn offiziell von der „Seherin“ und ihren Anhängern.
Nun könnte man Kamms Sympathie für die „Warnung“ als irrelevant für den Wahrheitsgehalt ihres Inhalts werten, wenn nicht noch etwas den australischen Gegenpapst mit der irischen „Seherin“ verbinden würde. Nämlich ihr engster Vertrauter, der umtriebige Ex-Zahnarzt, Geschäftsmann und begeisterte Radfahrer Breffni Cully. Cully hält nicht nur unter dem Pseudonym „Joseph Gabriel“ in den USA Seminare über die „Warnung“, er ist auch – zunächst zusammen mit Marys Tochter Sarah Carberry – Mitinhaber des Verlages „Trumpet Publishing Limited“, in dessen Tochterunternehmen „Coma Books“ sämtliche Original- und fremdsprachlichen Ausgaben des mittlerweile dreibändigen „Buches der Warnung“ sowie das dazugehörige „Kreuzzugs-Gebetbuch“ erschienen. Genauer gesagt: Laut dem „Irish Business Report“ wurde der das Unternehmen Coma Books am 25.2.2013 registriert, sein alleiniger Eigner ist die Trumpet Publishing Limited, Block 4 Harcourt Center, Harcourt Street, Dublin. Diese wurde am 6. Juni 2012 mit einem Aktienkapital von einer Million Euro von Cully und Carberry aus der Taufe gehoben. Am 14. Januar 2013 zog sich Sarah Carberry als Direktorin aus der Firma zurück und machte Platz für den Deutschen Martin Roth aus Köln, der die deutschsprachige Website zur „Warnung“ betreibt und hierzulande die Bücher vertreibt.
Trotz seiner vielfältigen Kontakte hat Cully nur zwei „Freunde“ auf seiner Google+-Seite, nämlich seinen Vermögensverwalter und eine gewisse Christine Lammermann aus Nowra in Australien. Sie ist die Schwiegermutter des “Little Pebble“ William Kamm, lebt noch immer im Hauptquartier der Sekte und vertreibt erfolgreich über das Internet Natur- und Gesundheitsprodukte. Auf „Facebook“ gehört sie nicht nur dem harten Kern der „Warnungs“-Promoter, den „Warriors of God“ an, sondern zählt auch den „JTM Adm“ (Jesus to Mankind-Administrator) zu ihren Freunden, der die zahlreichen „Warnungs“-Gruppen auf Facebook koordiniert. Auf ihrer Twitter-Seite verlinkt sie regelmäßig, zeitgleich mit ihrem offiziellen Erscheinen, die neuesten „Botschaften“ von Maria Divine Mercy. Der amerikanische „Midwaystreet“-Blog, der neben den Recherchen des irischen katholischen Theologen Ronald Conte jr. maßgeblich zur Aufdeckung der Identität von „Maria Divine Mercy“ beitrug, vermutet in ihr sogar die „Ghostwriterin“ der oder zumindest einiger „Warnungs“-Botschaften. Eines der Kreuzzugsgebete soll sie mit den Worten „Ich hoffe, Ihnen gefällt, was ich geschrieben habe“ kommentiert haben. Zweifellos aber bediente sich Mary McGovern des weltweiten Netzwerkes der „Little Pebble“-Jünger, um ihre eigenen Botschaften schnell und effizient zu verbreiten. So zitierte sie auf ihrer website einen „Fr. Marie-Paul“ als ersten „Priester und Theologen“, der die „Warnungs“- Botschaften für echt befand. Nur dass der Mann weder ein katholischer Priester noch ein Theologe ist, sondern ein Mitglied der Kamm-Sekte. Später sprang ein „Bischof Malcolm Broussard“ für die irische Seherin in die Bresche, erklärte auf „Facebook“ : „Diese Botschaft der Gottesmutter ist sehr erbaulich und berührt mich tief. Möge Jesus alle segnen, die diese Botschaft lesen und sie inspirieren, Maria zu lieben und ihr helfen, Seelen zu ihrem göttlichen Sohn Jesus zu führen.“ Der Mann ist ein ehemaliger Priester der Diözese Houston-Galveston/Texas, der wegen moralischer Verfehlungen 1989 in den Laienstand zurückversetzt wurde. Damals schloss er sich der Kamm-Sekte an und wurde offiziell zum „geistlichen Führer“ des Sehers. Als er sich 2003 in München von einem exkommunizierten, schismatischen Vagantenbischof zum Bischof weihen ließ, war seine „ipse facto“ -Exkommunikation die kirchenrechtliche Konsequenz. Offensichtlich hält jetzt auch er „Maria Divine Mercy“ für die legitime Nachfolgerin des nach wie vor inhaftierten „Little Pebble“.
FALSCHE PROPHEZEIUNGEN
Dass es sich bei der „Warnung“ um falsche Prophetie handelt, wird offensichtlich, wenn man sie näher studiert. Das gilt insbesondere für die brisanteste der fast tausend Botschaften, die von ihren Anhängern gerne zitiert wird, weil sie doch so offensichtlich wahr geworden scheint. Schließlich verkündete die „Gottesmutter“ am 11. Februar 2012 um 11.30: „Mein armer Heiliger Stellvertreter, Papst Benedikt XVI., wird vom Heiligen Stuhl in Rom vertrieben werden“. Exakt ein Jahr später, am 11. Februar 2013, kündigte der Papst in Rom seinen Amtsverzicht an.
Weniger überraschend erscheint der vermeintliche „Treffer“ allerdings, wenn man sich die Mühe macht, alle auf fast 2000 Seiten publizierten Botschaften durchzuarbeiten. Denn zwischen dem 26. November 2010 und dem 11.Februar 2013 sprach die „Seherin“ in 32 Botschaften von der angeblichen Verschwörung gegen den Nachfolger Petri, was das „übereinstimmende Datum“ eher als Zufallstreffer erscheinen lässt. Doch ist die Botschaft vom 11. Februar 2012 tatsächlich eingetroffen? Natürlich nicht. „Am 17. März 2011 wurde – in aller Stille – ein Plan, Meinen Heiligen Stellvertreter zu vernichten, ausgearbeitet, und dieser wird verwirklicht worden, den es ist vorausgesagt worden”, behauptete die “Seherin” weiter. Wer Benedikt XVI. in den letzten Monaten seines Pontifikats hautnah erlebt hat, der erkennt einen ganz anderen Grund für seinen Amtsverzicht. Nämlich die zunehmende körperliche Schwäche eines 86jährigen, der einfach einsah, dass seine schwindende Kraft nicht mehr den Anforderungen des Petrusamtes standhielt. Sein Rücktritt überraschte selbst die Kardinäle der römischen Kurie, versetzte den Vatikan für Tage in einen Schockzustand und wurde von vielen Tränen begleitet. Statt aus Rom „vertrieben“ zu werden, bestieg Benedikt XVI. nach seinem bewegenden Abschied einen Helikopter, um zum Papstpalast in Castelgandolfo geflogen zu werden. Von dort kehrte er zwei Monate später in den Kirchenstaat zurück – und bewohnt seitdem das Kloster Mater Ecclesiae in den vatikanischen Gärten. Dort empfängt er regelmäßig Gäste, oft auch seinen Nachfolger Franziskus, der ihn gerne um Rat fragt. Dabei hieß es doch in der Botschaft vom 20. März 2012, dass Benedikt XVI. „in Gefahr schwebt, aus Rom verbannt zu werden“. Am 16. Juli 2012 meinte die Seherin sogar, er würde „sehr bald gezwungen werden, aus dem Vatikan zu fliehen.“ Schon am 26. November 2010 war davon die Rede, dass die Kardinäle „seinen Sturz planen“. Noch am 26. Mai 2012 hieß es, er würde „fliehen müssen, denn er wird keine andere Wahl haben.“ Eben genau das war nicht der Fall.
Auch die Folgen seines Rücktritts wurden falsch vorausgesagt. Die Verschwörer, also Männer der Kurie, die der Sekte der Freimaurer angehörten, würden den apokalyptischen „falschen Propheten“ zum Gegenpapst ausrufen. Tatsächlich wurde Papst Franziskus von einem legitimen Konklave gewählt. Benedikt XVI. schwor seinem Nachfolger schon im Vorfeld die Treue. Die Wahl des Argentiniers war für alle Insider eine Überraschung; die Kardinäle wählten ihn wohl gerade, weil er bislang keine engeren Kontakte zur Kurie hatte, von den Intrigen und Flügelkämpfen, die während der Vatileaks-Affäre bekannt geworden waren, unberührt geblieben war. Doch noch vor Beginn des Konklaves, am 8.3.13, ließ „Maria Divine Mercy“ verkünden: „Er hat seine Position sorgfältig manipuliert, und bald wird man sein pompöses Auftreten inmitten seines herrlichen Hofes sehen. Sein Stolz, seine Arroganz und seine Selbstbesessenheit werden anfangs sorgfältig vor der Welt versteckt werden. Nach außen hin wird ein Seufzer der Erleichterung zu hören sein, wenn die Trompeten erschallen, um seine Amtszeit als Haupt Meiner Kirche zu verkünden.“ Nichts beschreibt das demütige erste Auftreten des Papstes, mit dem er die Herzen der Welt gewann, schlechter als diese Zeilen. Und auch die nächste Prophezeiung über seine erste Amtshandlung war falsch: „Er wird sich bemühen, jene treuen Anhänger Meines geliebten Heiligen Stellvertreters Papst Benedikt XVI., die von Mir bestellt worden sind, zu entlassen.“ Mit Ausnahme des 78jährigen Kardinalstaatssekretärs Tarcisio Bertone, der in den Ruhestand entlassen wurde, blieben alle Männer Benedikts XVI. im Amt. Der falsche Prophet, so prophezeite die „Seherin“, würde bald nach seinem Amtsantritt eine Einheitsreligion propagieren, ihr in Rom einen pompösen neuen Tempel errichten. Tabernakel und Monstranzen würden aus den Kirchen verschwinden, die Eucharistie zur „Gedenkfeier“ degradiert, die Eucharistische Anbetung verboten, schließlich ein neues Kruzifix eingeführt, das „auf diskrete Weise den Kopf des Tieres“, also des Satans, zeigt. Dass all dies ausblieb, trieb die Anhänger der „Warnung“ bereits in die Verzweiflung. Als Papst Franziskus tatsächlich am Allerheiligentag eine neue Ferula benutzte, die den Auferstandenen vor dem Kreuz zeigte, versuchten sie krampfhaft, in der Brustmuskulatur Jesu eine Teufelsfratze zu erkennen - die peinliche Bankrotterklärung einer Sekte.
Noch drei Tage nach Bergoglios Wahl zum Papst, am 16.3.2013, hatte die „Prophetin“ verkündet: „Der Zeitplan für die Ankunft des falschen Propheten wird sich decken mit der Erklärung von Kriegen überall auf der Welt. Diese Kriege werden augenblicklich ausgelöst werden, und die Menschen werden sich in Angst ducken…“ Doch auch davon blieb die Welt in den folgenden acht Monaten verschont. Der drohende Kriegsausbruch in Syrien konnte verhindert werden, nicht zuletzt durch das weltweite Friedensgebet und Fasten, zu dem der Papst für den 7. September 2013 aufgerufen hatte. Die bewegende Zeremonie auf dem Petersplatz bestand übrigens ausschließlich aus gut katholischen Andachtsformen – einer feierlichen Eucharistischen Anbetung und dem Rosenkranz.
So blieb auch „Maria Divine Mercy“ nichts anderes übrig, als sich in ihren Durchhalteparolen auf Äußerlichkeiten zu konzentrieren. Wie etwa in dieser „Botschaft“ vom 29. März 2013: „Ihr müsst durchhalten und Mir treu bleiben, und ihr müsst Mich um Führung bitten zu einer Zeit, wo der Mann, der auf dem Stuhl Petri sitzt und der sich weigert, in seine Fußstapfen zu treten oder seine Schuhe zu tragen, eure Treue zu Gott zerstören will.“
Rote Slipper als „Schuhe Petri“? Welch ein köstlicher Unsinn! Denn natürlich trug der Apostelfürst, wie alle Menschen seiner Zeit, braune, lederne Sandalen. Purpurne Stiefel waren damals allein dem römischen Kaiser vorbehalten. Erst als die Päpste die Herren in Rom wurden, übernahmen sie auch dieses kaiserliche Privileg, ohne daraus eine Verpflichtung zu machen; bis ins 18. Jahrhundert trugen die meisten Nachfolger Petri weiße Seidenslipper, Darstellungen aus dem Mittelalter zeigen sie auch mit braunen oder schwarzen Schuhen. Dass Franziskus mit der Tradition seiner unmittelbaren Vorgänger brach, hat freilich zwei Gründe. Zunächst einmal ist er ein Ordensmann und zu einem Jesuiten passen keine roten Schuhe. Als Südamerikaner schließlich lehnt er monarchische Symbole ab, auch wenn diese längst theologisch umgedeutet wurden. Selbst der Papsttitel, den Franziskus selten benutzt, ist nicht petrinisch; er wurde zunächst im 3. Jahrhundert für den Patriarchen von Alexandrien auf dem Stuhl des hl. Markus verwendet, bürgerte sich erst im 4. Jahrhundert in Rom ein und ist nichts anderes als die liebevolle Anrede eines Vaters („Papa“). Insofern setzt Bergoglio nur die Entmythologisierung des Papstamtes fort, die von seinen Vorgängern mit dem Verzicht auf die Tiara (Paul VI.), die Papstsänfte (Johannes Paul II.) und die Tiara im Wappen (Benedikt XVI.) sowie der Option auf den Amtsverzicht (ebenfalls Benedikt XVI.) begonnen wurde. Ein Papst mit einem modernen Amtsverständnis ist auch er, doch das stellt seine Treue zu Gott gewiss nicht infrage.
Doch auch an anderer Stelle zeugen die Botschaften von einer erschreckenden Unkenntnis über das Neue Testament. So soll „Jesus“ am 1. September 2013 erklärt haben: „Ich wusste ab dem Alter von zwölf Jahren, was Meine Mission war, und Ich begann langsam, ohne zu viel zu offenbaren, bevor die Zeit reif war. Ich wusste, dass Ich die Welt auf das Kommen des Messias noch vorbereiten musste. Ich wusste auch, innerhalb kurzer Zeit, dass die Kirche Meines Vaters auf Erden Mich ablehnen würde und sagen würde, dass Ich ein Betrüger sei.“ Die Kirche dagegen lehrt, dass Jesus, dessen göttliche Natur untrennbar mit der menschlichen verbunden war, zu jedem Zeitpunkt im Bewußtsein seiner Mission lebte. Als er geboren wurde, erwartete die halbe Welt den Messias. Für die Juden war der Bau des herodianischen Tempels das erwartete Zeichen. Selbst im heidnischen Rom nutzte Kaiser Augustus die sybillinische Prophezeiung von einem kommenden Friedensherrscher für seine Propaganda. Sein Hofdichter Vergil erklärte ihn zum „Sohn Gottes und Bringer der Goldenen Endzeit“. In einer Inschrift im kleinasiatischen Priene ließ er sich als „Soter“ (Erlöser) und Bringer der „Evangelien“ (Frohbotschaften!) bezeichnen. Die „Kirche Seines Vaters“ aber hat Jesus gewiss nicht abgelehnt, denn der Geburtstag der Kirche ist das Pfingstfest; hier hätte es „Tempelhierarchie“ heißen müssen. „Jesus“ weiter zu seiner „Seherin“: „Ich wählte zwölf einfache Männer, ungebildet und unkundig der Heiligen Schrift, arme Fischer.“ Tatsächlich waren aber nur vier der Zwölf mit Sicherheit Fischer (nämlich Petrus, Andreas, Jakobus und Johannes); die anderen Apostel wahrscheinlich Bauern, Handwerker und Zöllner. „Unkundig in der Schrift“ dürfte keiner von ihnen gewesen sein, denn sie waren alle Juden. Schon als Jungen lernten sie in der Synagogenschule, die Tora und die Schriften der Propheten zu lesen und zu verstehen.
DROHBOTSCHAFT STATT FROHBOTSCHAFT
Doch eine reflektierte Auseinandersetzung mit diesen Botschaften ist in den Kreisen der „Warnungs-Jünger“ unerwünscht. Hier wird blinder Glaube verlangt. Schließlich konstatierte doch Jesus selbst, zumindest laut „Maria Divine Mercy“, am 23. Februar 2013: „Ich führe Meine Tochter Maria. Sie ist als die Endzeitprophetin auserwählt worden. Ich spreche durch sie. Ihre Stimme ist die Meine. Ihr Leid und ihr Schmerz sind der Meine. Ihre Liebe für andere ist Meine Liebe. Ihre Freude kommt aus Meinem Heiligsten Herzen. Ihre Hand wird von der Meinen geführt. Ihr Verständnis in Hinsicht darauf, wie Ich möchte, dass Mein Wort gehört wird, kommt von Mir.“
Denen, die Zweifel anmelden, wird mit der ewigen Verdammnis gedroht: „Für diejenigen, die die Botschaften ignorieren, die diese der Menschheit bringen: Es wird bei euch Heulen und Zähneknirschen geben. Wenn ihr Mein heiliges Wort, das einem wahren Propheten gegeben wird, attackiert, dann stört ihr den Willen Gottes. Ihr mögt jetzt vielleicht keine Scham empfinden. Ihr mögt vielleicht glauben, dass ihr Mein Wort verteidigt, wenn ihr Meine Propheten angreift, aber mit der Zeit wird euch der Schaden, den ihr dieser Meiner letzten Mission auf Erden zufügt, nachdem sie euch offenbart worden ist, furchtbare Angst und Schmerzen bringen… Euer Jesus“ (am 6. März 2013).
Dieser totalitäre Anspruch, diese völlige Ablehnung jeder kritischen Reflektion im Licht von Glauben und Vernunft, entlarvt die Drohbotschaften der „Maria Divine Mercy“ freilich als falsche Prophetie. Sie verbreiten keine Hoffnung und keine Liebe, sondern erzeugen Angst in den Herzen gläubiger Christen, die vor die beklemmende, schmerzhafte Alternative gezwungen werden, dem Jesus der Botschaften zu gehorchen oder der Kirche, seiner angeblichen Prophetin oder dem Papst. Sie arbeiten mit einer perfiden Psychologie, indem sie durch Halbwahrheiten und fromme Gemeinplätze Vertrauen gewinnen und gleichzeitig abgrundtiefes Misstrauen sähen. Sie versprechen ihren Anhängern nicht weniger als das ewige Heil in einer Zeit der Apostasie, verlangen dafür aber den Preis des Schismas. Nicht zufällig prophezeite „Maria Divine Mercy“ eine Spaltung der Kirche, weil sie selbst Abspaltungen verursachen könnte. Schon heute ist die „Warnungs“-Website im Internet eine nicht zu unterschätzende Größe; allein ihre deutsche Version, „dasbuchderwarnung.de“, zählte seit 2011 über 5 Millionen Zugriffe. Dazu trägt raffiniertes Marketing in den sozialen Medien bei, etwa das massenhafte Posten von „Warnungs“-Botschaften in katholischen „Facebook“-Gruppen.
Kein Wunder also, dass Vertreter der Kirche bereits vor dieser neuen Sekte warnten. Längst haben Bischöfe wie Bischof Ronald-Peter Fabbro von der Diözese London/Ontario, Bischof Richard Mallone aus Bufalo/USA, der Erzbischof von Brisbane/Australien, Mark Coleridge, Weihbischof Andreas Laun aus Salzburg und Bischof Stefan Secka aus Spis - letzterer im Auftrag der Slowakischen Bischofskonferenz - die Botschaften als „häretisch“ und „schismatisch“ verurteilt. Der Theologe Ronald Conte jr. wies bereits darauf hin, dass sich die Warnungsgläubigen nach Canon 1364, § 1 des CIC durch ihre Ablehnung des Papstes „latae sententiae“ selbst exkommunizierten. Doch auch das änderte bislang nichts am Missionseifer der Jünger „Maria Divine Mercys“, die immer wieder versuchen, Gebetsstätten und Wallfahrtsorte zu infiltrieren, um neue Gläubige für ihre Sache zu gewinnen. Besonders in traditionalistischen Kreisen, dort, wo man besonders verunsichert auf den pastoralen Stil des neuen Papstes reagiert, finden sie fruchtbaren Boden. Im Internet diskutieren derweil die Warnungs-Jünger, wie sie am besten Vorräte anlegen für die bevorstehenden Katastrophen.
VON DEN EIGENEN BOTSCHAFTEN UNBERÜHRT?
Doch wer die Aktivitäten der „erwählten Prophetin“, Mary McGovern-Carberry, verfolgt, ist verwundert, nur „business as usual“ vorzufinden. Ihr Sohn, der Webdesigner David Carberry, ist seit März 2013 für Gaming VC tätig, eine Firma, die „verschiedene Online-Spielseiten betreibt“. Tochter Sarah leitet jetzt die „Future Media Communications“, eine Unterabteilung der Firma ihrer Mutter, die Online-Videos, Online-Promotions, Webdesign und Smartphone-Apps entwickelt. In diesem Jahr begann sie eine Weiterbildung am „Digital Marketing Institute“ im Bereich Multimedia. Auch Mary McGovern selbst ist nach wie vor in der PR-Branche tätig. Am 24. Juli 2011 gab sie bekannt, dass sich ihre Firma jetzt auf „Marketing in sozialen Medien“ konzentrieren würde, ein Sektor, der, wie sie glaubte, „bald 40 % des Marketingbudgets im Konsumgüter-Sektor“ ausmachen würde. In einer Pressemitteilung vom 21. September 2013 bezeichnete sie sich als „dot.com-Unternehmerin“ und rühmte sich, „zu den ersten Nutzern des Internets“ gehört zu haben.
Auch ihr Twitter-Account „McGovern PR“ lässt nicht darauf schließen, dass das Ende naht. Der letzte Eintrag stammt vom 11. Juli 2012 und handelt von der Haarpflege: „Verlängern sie das Leben ihrer Haarverlängerungen“. So bleibt ein schaler Beigeschmack auch angesichts der Laufzeiten ihrer Internet-Domäne. „TheWarningSecondComing“ hat sie nicht nur in sechs Variationen (.com, .net, .org, .info, .biz und .us) registriert, sondern auch bis zum 25. Februar 2022. Glaubt sie etwa selbst nicht an das baldige Eintreffen ihrer Prophezeiungen? Dann wäre die „Warnung“ vielleicht doch nur das diabolische PR-Experiment eines irischen Marketing-Genies, das bei Sektierern und falschen Propheten in die Lehre ging. Doch ihre Gefährlichkeit ist auch dann nicht zu unterschätzen.
UPDATE 2015:
Das Ende der „Maria Divine Mercy“
Mit wüsten Beschimpfungen reagierte die selbsternannte „letzte Prophetin Gottes“ auf ihre Entlarvung durch irische Journalisten
Von Michael Hesemann
„Entweder nehmt ihr das Wort Gottes an, das von Ihm festgeschrieben ist, oder ihr nehmt es nicht an“ – so lautete eine der letzten Botschaften, die von der „Mutter der Erlösung“, wie sie die Gottesmutter nennt, am 7. Januar 2015 der selbsternannten irischen Prophetin „Maria Divine Mercy“ diktiert wurde. Seit 2010 besuchten Hunderttausende ihre professionell gestaltete website „thewarningsecondcoming.com“ oder das deutsche Gegenstück „dasbuchderwahrheit.de“, um fast täglich mit den neuen apokalyptischen Schreckensbotschaften der „Warnung“ versorgt zu werden. Kometen würden im All kollidieren, hieß es dort, China und Russland durch schwere Erdbeben verwüstet, ein dritter Weltkrieg drohe, in Rom würde der Papst gestürzt und aus der Stadt gejagt und „der falsche Prophet“ den Stuhl Petri besetzen, um die Herrschaft des Antichristen vorzubereiten. Besonderen Auftrieb bekam die Sekte der „Maria Divine Mercy“, als Papst Benedikt XVI. im Februar 2013 aus Gesundheitsgründen von seinem Amt zurücktrat. Von Anfang an stand für sie fest, dass Papst Franziskus, der unkonventionelle Argentinier, der vorhergesagte „falsche Prophet“ sein musste.
Doch es dauerte nicht lange, da wurde die selbsternannte Prophetin, die zunächst anonym geblieben war, demaskiert. Katholische Blogger aus Irland wie Mark Saseen oder der Theologe und Erscheinungsexperte Ronald Conte Jr. waren die ersten, die „Maria Divine Mercy“ als die irische PR-Lady Mary Carberry, die im Geschäftsleben unter ihrem Mädchennamen Mary McGovern auftritt, enttarnten. Für kath.net überprüfte ich die von ihnen als Beweis präsentierten Handelsregistereinträge, bekam weitere Informationen durch renommierte Auskunfteien und fand Berichte über Mary McGovern und ihre Firmen in der irischen Presse, die deutlich bestätigten, dass hier aus Geltungsbedürfnis und finanziellen Interessen agiert und aus ziemlich trüben Quellen geschöpft wurde. Vor ihrer eigenen Karriere als „Seherin“ arbeitete PR-Dame Mary McGovern für den irischen Hellseher und Geistheiler Joe Coleman, der mit falschen Marienerscheinungen bekannt wurde und für einen Skandal sorgte, als er ein falsches „Sonnenwunder“ ankündigte, in dessen Folge fünf Gläubige ihr Augenlicht verloren. Noch beunruhigender war die Verbindung zu Wilhelm Kamm aus Köln, der sich „Little Pebble“ nennt und in Australien zum Sektengründer wurde. Auch Kamm behauptete, Offenbarungen Jesu und der Gottesmutter zu empfangen, die ihn als Endzeitpapst zum Nachfolger des hl. Johannes Paul II. auserkoren hätten. Doch ausgerechnet im Todesjahr des großen Polen, 2005, stand Kamm vor Gericht und wurde wegen Unzucht mit einer Minderjährigen zu dreieinhalb Jahren Haft, wegen eines zweiten Falls 2007 zu weiteren fünfzehn Jahren verurteilt. Im November 2014 wurde er wegen guter Führung vorzeitig entlassen. Verteidigt hatte er sich mit der Behauptung, Gott habe ihn, wie Abraham, erkoren, zum Stammvater eines neuen auserwählten Volkes zu werden und deshalb „12 Königinnen und 72 Prinzessinnen“ um sich zu sammeln. Kamm empfiehlt seinen (nach eigenen Angaben) 750.000 Anhängern nicht nur das „Buch der Wahrheit“ von Maria Divine Mercy, sondern steht, wie sein „Bischof“ Malcolm Broussard auf Nachfrage erklärte, auch mit der „Seherin“ „in privatem Kontakt“. In einem Handschreiben an den irischen Blogger Mark Saseen bestätigte Kamm am 8. Juli 2014: „Ich kenne Maria Divine Mercy seit 2011“ und bezeichnete sie als seine „kleine Schwester“. Tatsächlich ist „Marias“ Geschäftspartner, der irische Zahnarzt und Investor Breffni „Joseph Gabriel“ Cully mit Kamms Schwiegermutter Christine Lammermann befreundet, die zumindest der irische Theologe Ronald Conte für die Ghostwriterin der irischen „Prophetin“ hält.
EIN KATH.NET-BERICHT UND SEINE FOLGEN
Die Veröffentlichung dieser Fakten auf kath.net unter dem Titel „Die Hintergründe der Warnung“ am 25. November 2013 sorgte in Deutschland, Österreich und der Schweiz für einiges Aufsehen. Die Schweizer Initiative „Katholiken für Papst und Kirche“, unterstützt durch den Miriam-Verlag, druckten einige Tausend Flugblätter „Neues von der ‚Warnung‘. Nein zur Kirchenspaltung“, um der grassierenden Hysterie speziell im bislang gut katholischen Milieu entgegenzuwirken. Darauf reagierte der deutsche Geschäftspartner von „Maria Divine Mercy“, der Kölner Martin Roth, mit einer 34seitigen „Stellungnahme“. Doch statt auch nur eine einzige Behauptung des Flugblattes und unserer Recherchen zu widerlegen, bestätigte er sie nur. Ja, „Maria Divine Mercy“ ist tatsächlich Mary McGovern-Carberry, „die Fakten über die geschäftlichen Aktivitäten von Mary, die man über eine Auskunftei in Erfahrung bringen kann“, seien korrekt dargestellt. Man habe sie nur falsch interpretiert. Natürlich, so Roth, sei es eine üble Verleumdung, zu behaupten, Maria Divine Mercy habe sich selbst diesen Namen oder den Titel einer „Prophetin“ verliehen. Nein, so Roth im O-Ton, „Mary hat sich niemals selber den Namen ‚Maria von der göttlichen Barmherzigkeit‘ gegeben. Jesus selbst hat ihr den Namen gegeben.“
Doch auch diese Behauptung ist zwischenzeitlich widerlegt worden. Denn nach Angaben des „Buches der Warnung“ hatte „Maria Divine Mercy“ ihre erste „Begegnung“ mit Jesus am 9. November 2010. Damals, so schreibt sie, sei sie gegen 3.00 Uhr nachts aufgewacht, habe ein Kribbeln am ganzen Körper gespürt und das Jesus-Bild, das auf ihrem Nachtisch stand, habe sie angelächelt, als sie den Drang verspürte, etwas niederzuschreiben. Durch automatisches Schreiben, eine okkulte Praxis also, soll sie damals die erste Botschaft empfangen haben: „Maria wurde gesagt, dass die Wiederkunft Christi unmittelbar bevorsteht und dass sie der letzte Bote, der letzte Prophet ist. Ihr wurde gesagt, dass sie der siebte Bote, der siebte Engel ist, welcher der Welt den Inhalt der Siegel im Buch der Offenbarung verkünden wird … das Buch der Wahrheit, das im Buch Daniel für die Endzeit vorausgesagt worden ist.“ Tatsächlich aber wandte sie sich schon am 1. November 2010 an Ronald Conte, den Mann, der sie später entlarven sollte, und mit dem sie über sein Interesse an Joe Coleman in Kontakt gekommen war. In einem persönlichen Schreiben erklärte sie ihm, wohlbemerkt acht Tage vor ihrer „ersten Erscheinung“, sie habe bereits „seit Monaten“ gemeinsam mit Coleman Visionen empfangen. Dabei sei ihr auch die polnische Heilige Schwester Faustyna erschienen, auf die die Verehrung der „Göttlichen Barmherzigkeit“ zurückgeht. Doch noch früher, nämlich am 2. Juni 2010, also ganze fünf Monate vor der ersten „offiziellen Erscheinung“, meldete sich Mary McGovern als „Maria Divine Mercy“ mit der internen ID 100001157648678 auf Facebook an!
EIN JAHR DER FALSCHEN PROPHEZEIUNGEN
Trotz dieser Enthüllungen verlief das Jahr 2014 noch relativ ruhig für die „Seherin“, schien ihr Erfolg nur wenig getrübt. Dabei musste kritischen Beobachtern längst aufgefallen sein, dass ihre Prophezeiungen, je konkreter sie wurden, immer häufiger wie Luftblasen zerplatzten.
Am 25. Dezember 2013 etwa will sie von Jesus selbst eine alarmierende Botschaft empfangen haben: “Nächste Weihnachten wird die Feier meiner Geburt durch eine große Zeremonie ersetzt werden“, heißt es darin, würde die Kirche unter Papst Franziskus „dem Gott der sozialen Gerechtigkeit applaudieren, den Menschenrechten und dem Geld, das, wie sie sagen, für die Hungernden der Welt gesammelt wird.“ Und was war? Weihnachten wurde 2014 gefeiert wie alle Jahre wieder – nämlich mit einem feierlichen Pontifikalamt im Petersdom statt eines Charity Events.
Am 24. Januar 2014 behauptete die angebliche „Mutter der Erlösung“ – so nennt Maria Divine Mercy die Gottesmutter - sie werde schon „in diesem Frühjahr beginnen … bei allen Mariengrotten, die von der Kirche meines Sohnes anerkannt wurden“, noch einmal zu erscheinen und nannte ausdrücklich Lourdes, Fatima, la Salette, Guadalupe und Garabandal als Stationen ihres neuerlichen Wirkens. Natürlich konnte man sich schon damals wundern, dass in der Prophezeiung von „allen Mariengrotten“ die Rede war, obwohl es eine solche doch nur in Lourdes gab; doch wer wollte denn schon so kleinlich sein. Doch dann endete das Frühjahr mit dem Sommeranfang 2014 und nichts war geschehen. Bis heute, ein Jahr später, ist es an keinem der genannten Orte zu einer weiteren Marienerscheinung gekommen.
Aber am 12. Februar ließ die gleiche „Mutter der Erlösung“ ihre irische „Prophetin“ wissen, „bald“ würde das Ave Maria abgeschafft werden – das, wohlbemerkt, gerade von Papst Franziskus, der so marienfromm ist, dass er vor und nach jeder Auslandsreise in S. Maria Maggiore die Gottesmutter um ihren Beistand bittet.
So verkamen die „himmlischen Offenbarungen“ immer mehr zur Lachnummer unter Insidern, die sich darüber mokierten, dass weder die Prophetin noch ihre himmlischen Quellen – darunter Gottvater selbst! – die Heilige Schrift oder das kirchliche Brauchtum genauer zu kennen schienen. So waren bei „Maria Divine Mercy“ gleich alle zwölf Jünger des Herrn arme Fischer (so offenbart am 1.9.2013; tatsächlich waren nur vier der zwölf Apostel Fischer), während eine Novene bei ihr nur sieben Tage lang gebetet wird (so laut Botschaft vom 1. Dezember 2013).
EINE MEDAILLE WIRD PROMOTET
Stattdessen war die Seherin 2014 vor allem damit beschäftigt, ihre „Medaille der Erlösung“ zu promoten und unter das gläubige Volk zu bringen. Gleich zu Jahresbeginn, am 20. Januar 2014, hatte „Maria Divine Mercy“ die folgende Botschaft niedergeschrieben:
„Mein liebes Kind, Gott will jeden einzelnen Menschen aus jeder einzelnen Glaubensrichtung retten, ebenso wie diejenigen, die Seine Existenz und die Existenz Seines Sohnes, Jesus Christus, leugnen. Das ist der Grund, warum Menschen jeden Alters, jeder Kultur und jeder Konfession eine Medaille der Erlösung erhalten müssen.(…) Begeht nicht den Fehler, diese Medaille abzulehnen, denn sie ist für die ganze Welt bestimmt, und viele Wunder werden mit ihr verknüpft sein. (...) Bitte stellt sicher, dass die Medaille der Erlösung so vielen Menschen wie möglich zur Verfügung gestellt wird.“
Am 25. März betonte sie noch einmal die Heilsnotwendigkeit einer größtmöglichen Verbreitung dieser Medaille: „Die Medaille der Erlösung wird Milliarden von Seelen bekehren, und deshalb wird vom Teufel jede Anstrengung unternommen werden, sie zu stoppen.“ Sogar einen eigenen Feiertag, den 4. Juni, bestimmte sie für die „Mutter der Erlösung“ und in einem „Kreuzzugsgebet“ flehte sie den Himmel um Schutz für all jene an, die ihre Medaille fleißig verbreiten.
Im Juni 2014 schließlich kam die lange angekündigte Devotionalie auch endlich auf den Markt. Das Design stammte von dem gleichen Werbe- und Firmenlogo-Designer in San Diego/Kalifornien, der auch das „Siegel des Lebendigen Gottes“ entworfen hat, ein Blatt Papier mit einem speziellen Gebet und einem roten Siegel, das dem Besitzer Schutz vor dem Antichristen garantieren soll. Auf der Vorderseite zeigt sie die Gottesmutter mit gefalteten Händen und der Dornenkrone auf dem Haupt, auf der Rückseite durchkreuzt ein „S“ wie eine Schlange das „M“ Mariens, dessen vertikale Balken dem ganzen das Erscheinungsbild eines Dollarzeichens verleihen. Abgerundet wird das Design durch zwei gekreuzte Schwerter, was irgendwie an Offenbarung 12 erinnern soll, obwohl dort von nur einem Schwert die Rede ist; die „Frau der zwei Schwerter“ kennen wir eher aus den Tarotkarten des britischen Freimaurers Arthur Edward Waite.
Doch was an der Medaille, die „Milliarden“ Menschen erlösen soll, vor allem erstaunte, war ihr Preis, der bei einem stolzen Euro pro Stück liegen sollte. Und da sich die irische Seherin nicht mit Kleingeld abgibt, wurden die Medaillen auch nur in Tüten a 25 Stück, also für 25 Euro Mindestbestellwert abgegeben. Zum Vergleich: Die „Wundertätige Medaille“ der Katharina Labouré wird für 10 Cent/Stück vertrieben, das Heiligtum in der Rue du Bac in Paris verschickt sie sogar gratis, allein gegen einen frankierten Rückumschlag.
Interessant jedenfalls ist die Vertriebsstruktur der Medaille. Zunächst trat im Februar 2014 eine Firma namens „Salus Gifts“ als ihr „exklusiver globaler Vertrieb“ auf und nahm Vorbestellungen entgegen. Doch die Firmenadresse in London erwies sich bei genauerer Recherche als reine Briefkastenfirma. Zudem war das Unternehmen weder in England, Irland oder den USA im Handelsregister eingetragen. Im März verschwand „Salus Gifts“ vom Internet. Stattdessen gründete „Maria Divine Mercys“ deutscher Verleger, der Kölner Martin Roth, in Irland die Firma „Unico Distribution Limited“, die wieder unter einer Londoner Briefkastenadresse gemeldet war. Der Unico-Vertrieb hatte einen einzigen Klienten, den „Online Christian Gift Shop – Salvido“, den Roth zwei Tage später als website salvido.com registrieren ließ. Über sie sollten fortan alle MDM-Produkte verkauft werden. Weshalb ein Deutscher diese Firmen in Irland und mit einer Londoner Adresse anmeldet, ist offensichtlich: In Irland sind christliche Devotionalien von der Steuer befreit.
Am 31. Mai 2014 heiratete Mary McGovern-Carberrys Tochter Sarah Carberry, ein Ex-Model der Agentur „Elite“ und selbst mit diversen Firmen in der Modebranche tätig, ihren langjährigen Freund Niall Wood in der St. Sylvester-Kirche von Malahide bei Dublin, dem Villen-Vorort am Meer, in dem Mary seit 1998 residiert. Fotos der Hochzeit, die auf Facebook erschienen, zeigen nicht nur, dass die 59jährige Mary bereits Großmutter ist; Sarahs Tochter war gerade vier Jahre alt geworden. Ihr Sohn David postete ebenfalls Bilder, die von einem seiner Freunde mit den Worten „Ich wette, das war das erste Mal, dass Du in einer Kirche warst!“ kommentiert wurden. Fotos von diesem Tag zeigen Mary McGovern-Carberry, die letzte Prophetin Gottes, in einem schicken Kleid mit schwarzweißem Leopardenmuster, einer auffälligen Muschelkette und einem exzentrischen Hut, der eher nach Ascot als nach Apokalypse aussah. Nur die „Medaille der Erlösung“ sucht man in ihrem auffälligen Dekolleté vergebens. Und das lag nicht an Vertriebsschwierigkeiten. Auch als Mary und Sarah am 14. November beim Lidl-Weihnachtsempfang in Dublin fotografiert wurden, trugen sie auffälligen Schmuck – nur eben keine „Medaille der Erlösung“. Könnte es sein, dass die „Prophetin“ selbst nicht an ihre Offenbarungen glaubt?
Anfang Januar 2015 erschien Mark Saseens Buch „The Outing of Mary Carberry“ als Gratis-E-Book, in dem auf 101 Seiten die seltsamen Firmenkonstrukte und Verbindungen der „Prophetin“ zu Kamm und Coleman dargestellt sind. Darin veröffentlicht Saseen auch einen Handelsregistereintrag vom 10. Dezember 2013, in dem Breffini Cully und Martin Roth bereits eine GmbH anmeldeten, die sich auf „den Vertrieb religiöser Artikel“, darunter ausdrücklich „Medaillen“, spezialisieren sollte. Das war, wohlbemerkt, ganze 40 Tage, bevor die „Mutter der Erlösung“ um die Herstellung einer solchen Medaille bat, was die Frage erlaubt, ob nicht Roth und Cully die wahren Propheten sind oder zumindest über gute Vorahnungen verfügen. Noch brisanter wird das Dokument dadurch, dass die beiden Unterschriften von niemand anderem als Mary McGovern mit ihrer eigenen Signatur beglaubigt wurden, die als Berufsbezeichnung „Beraterin PR“ angab!
DIE APOKALYPSE DER MARIA DIVINE MERCY
Ein Exemplar von Saseens Buch gelangte in die Hände von Michael O’Farrell, einem Reporter der irischen Sonntagszeitung „The Mail on Sunday“, der Saseens Angaben überprüfte und bestätigen konnte. Die Folge war, was man getrost als „Die Apokalypse der Maria Divine Mercy“ bezeichnen kann. Am 1. Februar 2015 wurde ihre Identität auf einer Doppelseite der Zeitung enthüllt: „Irischer Zahnarzt, PR-Guru und Tochter gehören zu Sekte, die Botschaften von Gott empfängt“, lautet die Überschrift in fetten Lettern. Im Zentrum des Berichtes prangt ein großformatiges Foto von Mary McGovern-Carberry und der hübschen Sarah – beide erneut ohne „Medaille der Erlösung“. Doch O’Farrell wäre kein anständiger Journalist gewesen, wenn er nicht die Betroffene mit den Ergebnissen seiner Recherchen konfrontiert und sie um einen Kommentar aus ihrer Sicht gebeten hätte. Nachdem weder sie noch Cully auf seine schriftliche Anfrage hin reagiert hatten, stellte er sie vor ihrem Haus in Malahide. Höflich stellte der Reporter sich vor und bat sie um eine Stellungnahme, doch die „letzte Prophetin Gottes“ reagierte ungehalten. „Ich werde mich nicht zu Internet-Trollen äußern, die versuchen, mein Leben zu zerstören, weil ich für jemanden einen Job erledigt habe. Das ist alles, was ich dazu zu sagen habe“, antwortete sie. Auf die Frage des Reporters, um welche Art von „Job“ es sich dabei gehandelt habe und wer ihr Auftraggeber gewesen sei, verlor sie gänzlich die Contenance: „Ich kann mich mit diesem Mist nicht befassen. Tut mir leid. Wenn sie ehrlich diesen Sch… glauben, dann tun sie das!“
Natürlich hatte ihr der Journalist dabei ein Aufnahmegerät hingehalten. Die Audiodatei legte er Ed Primeau vor, einem forensischen Sprachanalysten mit 30jähriger Erfahrung, der von Gerichten in Irland und den USA konsultiert wird. Er verglich O’Farrels Aufnahme der wütenden Mary McGovern-Carberry mit dem einzigen Radiointerview, das „Maria Divine Mercy“ im Oktober 2011 dem kleinen amerikanischen katholischen Radiosender WTMR in Philadelphia gegeben hatte. Vier Tage lang studierte Primeau die beiden Aufnahmen, dann gab er sein Urteil ab. „Mit 90 %iger Sicherheit“ – was, wie der Experte versichert, der höchstmögliche Wert ist – spricht in beiden Fällen die gleiche Frau. „Maria Divine Mercy“ ist tatsächlich die PR-Dame Mary McGovern-Carberry! Auch dieses Ergebnis wollte Mary McGovern nicht kommentieren. Ist sie selbst die Urheberin ihrer „Botschaften“ oder hat sie tatsächlich einen Auftraggeber, vielleicht Kamm aus dem Gefängnis oder der schwerreiche Cully? Wir wissen es nicht. Sie mag ihre Rolle gut gespielt haben, doch sie hat damit Zehntausende guter Katholiken in die Verwirrung geführt. Sich selbst hat sie schon dadurch, dass sie ein Schisma propagierte, ipse facto exkommuniziert.
„Bis zu einem gewissen Grad ist die Ansicht, dass nette Mädchen nicht reich werden können, wahr“, hatte sie dem irischen „Independent“ im September 2008 erklärt, „erfolgreiche Menschen sind zu 80 % ihrer Zeit angenehm, nett und ruhig; aber sie können auch rücksichtslos sein. Eine gewisse Skrupellosigkeit ist in jeder Frau, die Erfolg hat.“ Und: „Wir sind von reichen Frauen fasziniert, gleich, wie sie ihr Vermögen gemacht haben. Je reicher sie sind, je mehr sind sie unsere Idole.“ Sicher ist nur, dass im schnellen Reichtum ihre Motivation zu suchen ist.
Das Urteil der Kirche zu ihren „Offenbarungen“ steht schon seit fast einem Jahr fest. Als bekannt wurde, dass sie im Dubliner Vorort Malahide wohnt, fühlte sich ihr Bischof zu einer Stellungnahme veranlasst. Zu Ostern 2014 erschien sie erstmals auf der website der Erzdiözese Dublin: „Erzbischof (Diarmuid) Martin möchte klarstellen, dass diese Botschaften und angeblichen Visionen von der Kirche nicht anerkannt sind und viele der Texte im Widerspruch zur katholischen Theologie stehen. Diese Botschaften sollten nicht von Mitgliedern der katholischen Kirche verbreitet oder verwendet werden.“ Bleibt zu hoffen, dass sich auch alle Katholiken daran halten!