Michael Hesemann, Historiker und Autor
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Der Zölibat: Lebensweise Jesu oder eine Erfindung der Kirche?


Vortrag im Rahmen der Osterakademie Kevelaer 2015
des Kardinal-von-Galen Kreises e.V. (im Forum Deutscher Katholiken)


von Michael Hesemann
 
Kaum ein Thema provoziert unsere durchsexualisierte Gegenwart so sehr wir der Zölibat. „Es ist wahr, dass für die agnostische Welt, die Welt, in der Gott keine Rolle spielt, der Zölibat etwas ist, das großen Anstoß erregt, weil gerade er zeigt, dass Gott als Wirklichkeit betrachtet und erlebt wird“, erklärte Papst Benedikt XVI. am 10. Juni 2010.

Er muss dem Weltmenschen als gelebter Anachronismus, als Absage an den Fetisch unserer Zeit, den Glauben an die Allmacht der Sexualität erscheinen, das vermeintliche Menschenrecht auf freie Sexualität, jederzeit und uneingeschränkt durch moralische Tabus. Eine regelrechte Dämonisierung ist die Folge. Während Siegmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse, in der Sublimierung der Sexualität, also der Umlenkung der Libido, noch die Triebfeder schlechthin für jede große geistige oder kulturschaffende Leistung sah, ja die gesamte menschliche Kultur für das Ergebnis einer solchen Sublimierung, sprich: von Keuschheit hielt, halten sich moderne Pseudopsychologen für gescheiter: Sie brandmarken den Zölibat stattdessen zur Ursache für jede nur denkbare Perversion, angefangen mit der Pädophilie. Als einzigen Ausweg aus der Krise um die Fälle von sexuellem Missbrauch durch einzelne Vertreter der katholischen Kirche empfehlen, nein verlangen sie die Aufgabe des Zölibats. Eine merkwürdige Logik, so als würde man Drogensucht durch die Verabreichung von noch mehr Drogen therapieren. Und nicht etwa sexuelle Perversion durch konsequente Entsexualisierung des Lebensstiles heilen. Zumindest dem Priestermangel glaubt man durch die Aufhebung des Pflichtzölibats entgegenwirken zu können, doch warum, bittesehr, haben auch die geschätzten Protestanten noch größere Probleme, ihr vakanten Pastorenstellen zu besetzen; und dass, obwohl bei ihnen ja sogar geschiedene Frauen nicht nur als Pastorinnen, sondern sogar als Bischöfinnen Verwendung finden können. Muss ich eigens noch erwähnen, dass die traurigen Mißbrauchsfälle leider auch bei nichtzölibatären protestantischen Pastoren gemeldet wurden?

Doch warum das alles? Worin liegt der Ursprung, ja die Ursache des Zölibats, warum lassen sich junge Männer freiwillig auf ein Leben ohne Eheglück, Ehefrust und die obligatorische mehr oder minder liebenswürdige Schwiegermutter ein?

Die Antwort liegt auf der Hand: Sie wollen, vor allem anderen, dem Lebensstil Jesu folgen. Doch können Menschen so leben wie der Sohn Gottes, der uns in allem gleich war, außer der Sünde? Hat er von seinen Jüngern, hat er von den Priestern den Zölibat verlangt? Oder ist dieser doch eine Erfindung der Kirche, wie es selbst ein so zuverlässiges Handbuch wie Georg Gänsweins und Martin Lohmanns Kompendium „Katholisch. Wissen aus erster Hand“ andeutet: „Durch die aus der Familiengründung sich ergebenden ökonomischen  Notwendigkeiten kam es im Mittelalter zu der Unterscheidung: Die Laien kümmern sich um die weltlichen Güter – die Kleriker um die geistlichen Güter“, schreibt darin Ralf Miggelbrink. Ist der Zölibat also, wie es oft und gerne kolportiert wird, eine Erfindung des Mittelalters? Kam er primär aus wirtschaftlichen Gründen zustande, um der Kirche die Unterhaltszahlungen für Priesterwitwen und –waisen zu ersparen, wie man so oft hört? Selbst Papst Franziskus soll laut einem am 13. Juli 2014 in der italienischen Zeitung „La Repubblica“ zitierten Interview dem 90jährigen Journalisten Eugenio Scalfari erklärt haben, der Zölibat sei erst „900 Jahre nach dem Tod unseres Herrn“ festgelegt worden.

Diese Annahme ist, wie ich Ihnen als Historiker versichern kann, einerseits richtig, andererseits falsch. Tatsache ist, dass der Zölibat als Ideal bereits von Jesus in den Evangelien gelehrt wurde. Aber auch, dass die Verpflichtung zur Ehelosigkeit erst vor rund 900 Jahren in Kraft trat. Untersuchen wir also zunächst einmal die biblischen Grundlagen.

Matthäus (19,29) etwa zitiert den Herrn mit den Worten: „… Jeder der um meines Namens willen Häuser oder Brüder, Schwestern, Vater, Mutter, Kinder oder Äcker verlassen hat, wird dafür das Hundertfache erhalten und das ewige Leben gewinnen.”

Ähnlich finden wir diese Stelle bei Markus (10,29f.) und  Lukas (18, 29f.), was ihre Authentizität unterstreicht.

Diese Worte des Herrn waren freilich nicht an die breite Schar der Gläubigen gerichtet, sondern an die Jünger und Apostel, jene, die zu einer ganz besonderen Christusnachfolge berufen waren. Ihre Botschaft ist eindeutig. Sie verlangen die totale, radikale Trennung der Auserwählten von allen irdischen, menschlichen Bindungen. Weg von Heim und Herd, von Haus und Familie, um allein, frei und ungebunden dem Herrn zu folgen. Selbst die bei den Juden so wichtige Pietät, die Bestattung der Toten, sollte hintenan gestellt werden: „Folge mir und lass die Toten ihre Toten begraben“ (Mt 8,22 und Lk 9,60) fordert der Herr von einem jungen Mann, der immerhin gerade seine heiligste Pflicht, die Bestattung seines Vaters, erfüllen wollte. Jesus nachfolgen heißt, allem Irdischen zu entsagen und zu leben wie er, der von sich sagte: „Die Füchse haben Höhlen und die Vögel des Himmels Nester: Der Menschensohn aber hat keinen Ort, an dem er sein Haupt niederlegen kann.“ (Lk 9,58)

Doch noch eindeutiger wirbt der Herr an einer ganz anderen Stelle für den Zölibat; ausgerechnet im Anschluss an seine „Ehekatechese“ im  Matthäus-Evangelium. Denn nachdem er den Pharisäern erklärt hatte, weshalb es nicht statthaft sei, eine Frau, obwohl keine Unzucht vorliegt, aus der Ehe zu entlassen, kam es zu einem interessanten Dialog zwischen ihm und seinen Jüngern. Matthäus: „Da sagten die Jünger zu ihm: Wenn das die Stellung des Mannes in der Ehe ist, dann ist es nicht gut zu heiraten.“ (Mt 19,10) Man lasse diese Worte einmal auf sich einwirken. Wie war das gemeint? Warum soll ein Scheidungsverbot von der Ehe abhalten? Und warum sind es nur die Jünger, die diesen Einwand vortrugen, nicht etwa die Pharisäer, die bekanntlich Jesus provozieren wollten? Vielleicht, weil es um sie ging? Weil sie plötzlich erkannten, dass es eine Unvereinbarkeit zwischen ihrer Sendung und der Ehe gibt? Darauf deutet Jesu Antwort hin:  „Jesus sagte zu ihnen: Nicht alle können dieses Wort erfassen, sondern nur die, denen es gegeben ist. Denn es ist so: Manche sind von Geburt an zur Ehe unfähig, manche sind von den Menschen dazu gemacht und manche haben sich selbst dazu gemacht - um des Himmelreiches willen. Wer das erfassen kann, der erfasse es.“ (Mt 19, 11-12)

War das ihr Rat an sie? „Zur Ehe unfähig“, zu „Eunuchen“ zu werden, wie es in älteren Übersetzungen heißt, aus eigenem Willen, „um des Himmelreiches willen“, also um Gottes willen, dessen Reich auf Erden in Seiner Kirche manifestiert ist?

Tatsache ist und bleibt, dass Jesus diese Regel an erster Stelle auf sich anwandte. Auch wenn Schundautoren wie Dan Brown ad nauseam das Gegenteil behaupten, so ist und bleibt es eine historische Tatsache, dass Jesus nie verheiratet war. Daran ändert weder die Anrede „Rabbi“ etwas noch tun es die gnostischen Pseudo-Evangelien. Denn die Anrede „Rabbi“ in einem Kontext des 1. Jahrhunderts hat recht wenig mit dem zu tun, was wir heute unter einem Rabbi verstehen. Wer Jesus für einen Rabbiner hält, der ist schon über den Fallstrick des Anachronismus gestolpert, vor dem wir Historiker immer so gerne gewarnt werden. Denn der Rabbiner als verheiratetes Oberhaupt einer Synagogengemeinde ist eine Institution, die sich erst nach der Synode von Jamnia im Jahre 95 n.Chr., der Redefinition des Judentums nach der Zerstörung des herodianischen Tempels, wahrscheinlich sogar erst nach dem Jahr 200 herausgebildet hat. Damals blieb von den einstmals drei Strömungen des Judentums – Sadduzäer, Pharisäer und Essener – lediglich die pharisäische Schule als normative Richtung erhalten. Zur Zeit Jesu dagegen bedeutete „Rabbi“ einfach „Meister“, ohne eine bestimmte Institution zu meinen. Den Synagogen standen Synagogenvorsteher (siehe Mk 5,35 oder LK 8,41) vor, die einem Prediger aus der Gemeinde oder einem Wanderrabbi beim Synagogengottesdienst das Wort erteilten. Die Bezeichnung als „Rabbi“ für Jesus ist also kein Hinweis auf seinen „zivilrechtlichen“ Status und ganz bestimmt nicht auf seine Zugehörigkeit zum Rabbinerstand, sondern schlicht und einfach ein Ehrentitel, eine respektvolle Anrede für einen, der lehrt.

Auch die apokryphen „Evangelien“ der ägyptischen Gnostiker bieten keinen Beweis, nicht einmal einen Anhaltspunkt für einen verheirateten Jesus. Zwar ist im apokryphen „Philippus-Evangelium“ die Rede von „(Maria) Magdalena, die man seine Gefährtin nennt“, der gleiche Text offenbart aber später, wie das gemeint ist. Er setzt nämlich Jesus und Maria Magdalena mit den Urprinzipien „Logos“ und „Sophia“, „Wort“ und „Geist“ gleich, wobei die Sophia immer die Gefährtin des Logos ist. Mit einer menschlichen Ehe hat diese Gleichsetzung nicht das Geringste zu tun, im Gegenteil: Die fleischliche Vereinigung wird im gleichen „Philippus-Evangelium“ als „Hochzeit der Befleckung“ ausdrücklich abgelehnt. An ihre Stelle, so heißt es, müsse die „unbefleckte Hochzeit“, also die geistige Vereinigung, als „wahrhaftiges Mysterium“ treten: „Nicht fleischlich ist sie, sondern rein.“ Jede geschlechtliche Vereinigung dagegen erklärt der strenge Text zur „Unzucht“.

Ähnlich im ebenfalls gnostischen „Thomas-Evangelium“, wo Petrus den Herrn auf Maria Magdalena anspricht: „Mariham soll von uns gehen. Denn die Frauen sind des Lebens nicht würdig“. „Jesus sagte: Siehe, ich werde sie ziehen, damit ich sie männlich mache, damit auch sie zu einem lebendigen Geist werden kann, der euch Männern gleicht. Denn jede Frau, wenn sie männlich gemacht wird, wird in das Königreich des Himmels eingehen.“ Wenn die Frau ihre sexuelle Identität aufgibt, hat sie also eine Chance, erlöst zu werden. Auf der Grundlage von Schriften der sexualfeindlichen, weltverneinenden Gnostiker für einen verheirateten Jesus zu argumentieren ist an Absurdität – oder Ignoranz – also kaum noch zu übertreffen.

So ist das Wort, das im koptisch-griechischen Philippus-Evangelium für Maria Magdalena als „Gefährtin“ verwendet wird, eben nicht „gyne“, das griechische Wort für „Ehefrau“ und auch nicht „heteira“ (Geliebte) oder gar „pallake“ (Konkubine), sondern lediglich „koinonos“. Und das bedeutet nicht mehr als „Weggefährtin“. Das Wort finden wir sogar im Geschäftsleben, wo es für „Teilhaber“, „Mitarbeiter“ und „Geschäftspartner“ verwendet wird. Es gibt also nicht einmal eine gnostische Pseudo-Tradition, nach der Jesus verheiratet gewesen sei. Er war es einfach nicht, und das war selbst den Häretikern bekannt.
Und das war keine Besonderheit zu seiner Zeit. Tatsächlich gab es schon im 1. Jh. v.Chr. eine ganze Bewegung im Judentum, die Essener, bei denen Keuschheit und Ehelosigkeit als religiöse Ideale gepflegt wurden. Neben Sadduzäern und Pharisäern waren sie die dritte große Sekte oder besser Konfession des antiken Judentums. Von ihnen schreibt Flavius Josephus in seinem Buch „Über den Jüdischen Krieg“ nicht nur, dass sie „im Rufe einer besonderen Pflege der inneren Frömmigkeit stehen“, sondern auch, dass sie „in dem Widerstand gegen die Leidenschaften die wahre Tugend“ sehen. „Die Ehe steht bei ihnen in keiner besonderen Achtung“ (2, 119-120). In seinen „Jüdischen Altertümern“ stellt er sogar fest: „Sie heiraten ebensowenig als sie Knechte halten, da sie das Letztere für Unrecht, das erstere aber für die Quelle allen Streites halten…“ (18,5) Das deckt sich mit der Beschreibung von Plinius dem Älteren, der im 5. Buch seiner „Naturgeschichte“ zumindest die Essener der Klosteranlage von Qumran („westlich des Asphaltmeeres“) als Zölibatäre beschreibt, die dort „ganz ohne Frauen“ leben, „denn sexuelle Begierden sind ihnen fremd.“ Auch der Jude Philo von Alexandria, ein Zeitgenosse Jesu, betont: „Kein Essener nimmt eine Frau“, was allerdings relativiert werden muss; laut Flavius Josephus gab es bei den Essenern durchaus auch einen „zweiten Orden“ keusch lebender Ehepaare. Außerdem fanden Archäologen Frauengräber in Qumran, aber streng getrennt von den Friedhöfen der Männer und weiter von der Klosteranlage entfernt.

Während man darüber streiten kann, wie weit Jesus, seine Jünger und die Urgemeinde von der essenischen Spiritualität und der Messiaserwartung der Gemeinschaft beeinflusst wurden, steht zumindest außer Frage, dass es den Zölibat und das Keuschheitsgelübde auch im vorchristlichen Judentum bereits gab. Wir finden diese Lebensweise nicht nur bei Johannes dem Täufer, sondern als „prophetische Ehelosigkeit“ etwa auch bei Elias. So widmet Geza Vermes, Professor für Jüdische Studien und Leiter des „Forums für Qumran-Studien“ an der Universität Oxford, diesem Thema einen eigenen Exkurs und kommt nach Prüfung aller relevanten Quellen zur Unvereinbarkeit von Ehe und Prophetie zu dem Schluß: „Vor dem Hintergrund der jüdischen Meinung des 1. Jahrhunderts, dass prophetische Sendung unter anderem ein Leben der Enthaltsamkeit einschloß, wird Jesu offenbar freiwilliger Zölibat, jedenfalls von dem Zeitpunkt an, als er den Heiligen Geist empfing (und seine Lehrtätigkeit begann), historisch einsichtig“.

Gelübde der sexuellen Enthaltsamkeit finden wir bereits in der Torah, im sechsten Kapitel des Buches Numeri (4 Mose) in der Abhandlung über das Nasiräergelübde, eine Zeit besonderer Weihe an den Herrn, die Enthaltsamkeit von „berauschenden Getränken“, von Rasur und Haarschnitt, aber auch von Sexualität beinhaltete. Obwohl sie auf einen bestimmten Zeitraum begrenzt sein sollte, wird ein solcher nicht angegeben; er kann zwischen einigen Monaten und vielen Jahren gelegen haben. Dabei wird ausdrücklich auch Frauen die Möglichkeit des Nasiräats, also eines Enthaltsamkeitsgelübdes, eingeräumt, sogar in der Ehe, wie das 30. Kapitel des Buches Numeri eigens betont: „Wenn aber eine Frau dem Herrn ein Gelübde ablegt oder sich zu einer Enthaltung verpflichtet, während sie noch ledig im Haus des Vaters lebt, dann soll ihr Vater von ihrem Gelübde oder von der Enthaltung, zu der sie sich verpflichtet hat, erfahren. Schweigt ihr Vater dazu, dann treten die Gelübde oder jene Enthaltung, zu der sie sich verpflichtet hat, in Kraft … Heiratet sie einen Mann, während sie durch ein Gelübde … gebunden ist, dann bleiben die Gelübde oder die Enthaltung, zu der sie sich verpflichtet hat, in Kraft, falls ihr Mann an dem Tag, an dem er davon erfährt, dazu schweigt.“ (4 Mos 20, 4-8) Wie aktuell diese Praxis auch zur Zeit Jesu war, entnehmen wir der „Tempelrolle“ der Essener, die in Höhle 11 von Qumran entdeckt wurde. Sie wiederholt das mosaische Gesetz, spricht deutlich von einem „Gelübde oder einer Enthaltung“ und betont: „der Schwur der Enthaltung: Ihr Mann kann ihn für gültig erklären, ihr Mann kann ihn aber auch aufheben am Tag, da er davon erfährt.“

In diesem Kontext ist das Dogma von der „immerwährenden Jungfräulichkeit“ der Gottesmutter Maria, das auf dem 5. Allgemeinen Konzil von Konstantinopel 553 erstmals verkündet wurde, durchaus auch historisch plausibel. Dass Maria tatsächlich bereits zum Zeitpunkt der Erscheinung des Engels gelobt hatte, auch in der bevorstehenden Ehe keusch zu leben, entnehmen wir ihrer Antwort auf die Verkündigung der Geburt eines Sohnes: „Wie kann das geschehen, da ich keinen Mann erkenne.“ (Lk 1,34). Sie antwortet eben nicht: „Da ich noch keinen Mann erkannt habe“, zumal der Engel ohnehin keinen Zeitpunkt nennt, sondern wendet ganz kategorisch ein: „Da ich keinen Mann erkenne“, also weder erkannt habe noch je erkennen werde. Durch das Vorbild seiner Mutter und auch seines Stiefvaters, deren keusche „Josefsehe“ durchaus ihre Parallelen in den Lebensgemeinschaften der Essener hatte, hat Jesus von Anfang an das Modell für seinen eigenen Weg wie für die seinen Jüngern anempfohlene Lebensweise erlebt.

Aber wie hielten es denn die Apostel? Da im Judentum junge Männer bereits mit Anfang 20 verheiratet wurden, darf angenommen werden, dass sie alle – mit Ausnahme des Jüngsten, Johannes – zum Zeitpunkt ihrer Berufung bereits verheiratet waren. Von Petrus lesen wir ganz deutlich, dass er eine Schwiegermutter hatte, was natürlich eine Ehefrau voraussetzt; ihre Heilung durch Jesus wird von den Synoptikern ausdrücklich beschrieben (Mt 8,14 f.; Mk 1,29 f.; Lk 4,38 f.). Andererseits scheinen die Ehefrauen der Elf in der Urgemeinde keinerlei Rolle gespielt zu haben, jedenfalls werden sie an keiner Stelle in den Evangelien erwähnt. Das lässt darauf schließen, dass sie tatsächlich von ihren Männern getrennt lebten, wahrscheinlich integriert in ihre Großfamilien, jedenfalls nicht, denn das wäre schon sozial unverträglich gewesen, von ihren Ehemännern verstoßen oder offiziell getrennt. Trotzdem lässt auch die Reaktion des Petrus auf die oben zitierte Stelle darauf schließen, dass der Familienstand der Jünger, vor allem aber auch der nachfolgend Berufenen, durchaus thematisiert wurde: „Da antwortete Petrus: Du weißt, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt. Was werden wir dafür bekommen? "(Mt 19, 27) Die Anweisungen des Herrn, die wir eingangs zitiert haben, sind eindeutig: Wer dem Herrn nachfolgen, wer das Ewige Leben gewinnen will, der wird aufgefordert, „alles zu verlassen“: Haus, Grund, Eigentum und Familie und sich ganz allein und voller Gottvertrauen auf den Weg zu machen. Und auf die Frage der Jünger, ob es gut sei, zu heiraten, antwortete er mit dem Ideal derer, die sich selbst „unfähig zur Ehe“ gemacht hätten „um des Himmelreiches willen“ – die also in der Nachfolge Christi auf die Ehe verzichtet haben. Dass dies eben so gemeint ist, bestätigt auch Lukas, der besagte Stelle auf den Punkt bringt: das für den Laien schwerer verständliche „Eunuchenlogion“, also die Stelle von der freiwilligen „Unfähigkeit zur Ehe“, lässt er aus und stattdessen Jesus auf Petrus antworten: „Amen, ich sage euch: Niemand hat Haus, Frau, Brüder, Eltern oder Kinder um des Reiches Gottes willen verlassen, der dafür nicht (schon) in dieser Zeit das Vielfache erhält und in der zukünftigen Welt das ewige Leben.“ (Lk 18, 29-30)
Da nun die Evangelien nach neuesten Erkenntnissen zwischen 40 und 70 n.Chr., also zur Lebzeit der Apostel und Augenzeugen, niedergeschrieben wurden, muss den Autoren bewusst gewesen sein, dass auch ihre Lebensweise an den Worten des Herrn gemessen würde. Christusnachfolge bedeutete damals wie heute die unbedingte Übernahme der Lebensweise Jesu – und damit eben auch die Aufgabe allen weltlichen Besitzstandes, von Ehe und Familie, und stattdessen der Entscheidung für den Lebensstand der „prophetischen Ehelosigkeit“ und Keuschheit.

Was aber ist davon zu halten, wenn Paulus im ersten Korintherbrief (9, 5) schreibt: „Bin ich nicht frei? Bin ich nicht ein Apostel? … Haben wir nicht das Recht, zu essen und zu trinken? Haben wir nicht das Recht, eine gläubige Frau mitzunehmen, wie die übrigen Apostel und die Brüder des Herrn und Kephas? Sollen nur ich und Barnabas auf das Recht verzichten, nicht zu arbeiten?” Ist damit nicht vorausgesetzt, dass die Apostel in Begleitung ihrer Frauen unterwegs waren?

Doch hier ist Vorsicht geboten. Bei den rhetorischen Fragen des Apostels geht es um das Recht des Verkünders des Evangeliums, auf Kosten der Gemeinde zu leben, und das gilt auch für seine Begleitung. Die Frage ist nun, worin diese besteht. Der griechische Ausdruck „άδελφήν γυναĩκα” bedarf der Erklärung. Adelphe ist Schwester. Hier ist eine Schwester im Glauben, eine Christin, gemeint, während Gyne ganz durchaus "Ehefrau", aber auch ganz einfach "Frau" bedeuten kann. So läßt Paulus allenfalls offen, ob er eine "schwesterliche Frau" oder vielleicht doch auch eine Ehefrau meint, die mit ihrem Mann wie eine Schwester, also keusch, zusammenlebt.

Man wird dem Text wohl am ehesten gerecht, wenn man an das 8. Kapitel des Lukasevangeliums denkt, wo es heißt: „Die Zwölf begleiteten ihn (= Jesus), außerdem einige Frauen, die er von bösen Geistern und Krankheiten geheilt hatte: Maria Magdalena, aus der sieben Dämonen ausgefahren waren, Johanna die Frau des Chuzas, eines Beamten des Herodes, Susanna und viele andere. Sie alle unterstützten Jesus und die Jünger mit dem, was sie besaßen.” Es ist nur folgerichtig anzunehmen, dass die Apostel später auch hierin dem Beispiel Jesu gefolgt sind und sich von durchaus wohlhabenden Frauen, oft reichen Witwen, unterstützen ließen.

Im Übrigen ist auf die deutliche Empfehlung der Ehelosigkeit bzw. der ehelichen Enthaltsamkeit durch den Apostel Paulus zu verweisen (1. Kor. 7, 29ff.): „ Ein Mann tut gut daran, eine Frau nicht zu berühren.“ Wenn er dann doch zu einem von Keuschheit geprägten Eheleben plädiert, betont er: „Das sage ich jedoch als Zugeständnis, nicht als Gebot. Ich wünschte mir, alle Menschen wären wie ich; doch jeder hat seine besonderen Gnadengaben von Gott, der eine so, der andere so“, womit er deutlich auf den eigenen Zölibat verweist, der freilich nicht für alle Christen verbindlich sein kann. Paulus weiter: „Den Unverheirateten und den Witwern sage ich: Sie tun gut, wenn sie so bleiben wie sich. Haben sie jedoch nicht die Kraft zur Enthaltsamkeit, so sollen sie heiraten.“( 1 Kor 7, 1-17) Später wird er noch deutlicher: „Denn ich sage euch, Brüder: Die Zeit ist kurz. Daher soll, wer eine Frau hat, sich in Zukunft so verhalten, als habe er keine …” (1 Kor 7, 29). Was nur bedeuten kann: In der Ehe keusch leben. Das wird bestätigt in 7, 37: „Steht aber jemand im Herzen fest, ohne in einer Zwangslage zu sein, hat er vielmehrt volle Freiheit über seinen Willen und hat er sich innerlich dafür entschieden, seine Jungfrau unberührt zu lassen, so tut er gut daran. Also: Wer seine Jungfrau heiratet, tut gut; und wer sie nicht heiratet, tut besser.“  Das Ideal bleibt bei Paulus also der Zölibat: „Ich wünschte aber, dass ihr ohne Sorgen wärt. Der Unverheiratete sorgt sich um die Sache des Herrn; er will dem Herrn gefallen. Der Verheiratete sorgt sich um die Dinge der Welt; er will seiner Frau gefallen. So ist er geteilt.” (1 Kor 7, 31-33)

Dass Paulus mit diesen Worten besonders die Bischöfe und Priester anspricht, ist offenkundig. Natürlich hat er auch selbst danach gelebt.

Zum Beweis dafür, dass Paulus bzw. die Kirche der apostolischen Zeit den Zölibat nicht gekannt habe, werden von manchen Exegeten auch die Briefe an Timotheus und Titus, die sog. Pastoralbriefe, angeführt. Nun ist in der Tat im 1. Timotheusbrief (3,2) die Rede vom verheirateten Bischof, was in der Regel als  „der Bischof sei eines Weibes Mann” übersetzt wird. Doch das ist sehr ungenau, besser wäre die Übersetzung:“Deshalb soll der Bischof ein Mann ohne Tadel sein, nur einmal verheiratet (= eines Weibes Mann!!), nüchtern, besonnen …”. Ebenso ist im Brief an Titus zu lesen: „Ein Ältester (= Priester, Bischof) soll unbescholten und nur einmal verheiratet sein …”.

Was mit dieser Weisung ausgeschlossen werden soll, ist, dass ein Mann zum Bischof oder Priester geweiht wird, der nach dem Tod seiner Frau ein zweites Mal geheiratet hat. Man hielt nicht viel von Witwern, die erneut heirateten. Vor allem aber traute man diesen nicht zu, die auch vom verheirateten Priester oder Bischof erwartete Enthaltsamkeit zu leben. Denn eben das war offensichtlich die Regel in der nachapostolischen Kirche: Die Priester und Bischöfe konnten durchaus zum Zeitpunkt ihrer Weihe bereits verheiratet sein und dies auch bleiben – solange sie sich verpflichteten, fortan keusch zu leben. Schon aus diesem Grund wurden bevorzugt ältere Männer geweiht.  

Dass dies alte, geheiligte, auf die Apostel zurückgehende Überlieferung war, bezeugen die Werke kirchlicher Schriftsteller wie Clemens von Alexandrien und des Nordafrikaners Tertullian von Karthago, die um das Jahr 200 lebten. Letzterer behauptete sogar, außer Petrus seien alle Apostel unverheiratet gewesen und hätten Frauen lediglich als Gehilfinnen bei sich gehabt. Clemens dagegen glaubte, die Apostel seien, mit Ausnahme des Johannes, zwar verheiratet gewesen, hätten aber mit ihren Frauen enthaltsam gelebt. Zumindest die sexuelle Enthaltsamkeit der Apostel wird also von keinem frühchristlichen Autoren bestritten. Auch in  den sogenannten apokryphen Apostelakten, die noch im 2. Jahrhundert entstanden sind und weit verbreitet waren, wird sie bestätigt. Zwar sieht die neuere Forschung in ihnen eher Apostelromane, doch zumindest basieren sie doch auf den Vorstellungen, die man in den ersten hundert Jahren nach dem Tod der Apostel von ihrem Leben hatte. So spiegeln sie deutlich die Einstellung der frühen Kirche und ihrer Gemeinden in dieser Frage wider.  Zudem rühmt Tertullian die Enthaltsamkeit der „kirchlichen Stände“, womit die Kleriker, geweihten Jungfrauen und Witwen gemeint sind, wörtlich: „Wie viele Männer und wie viele Frauen zählen um ihrer Enthaltsamkeit willen zu den kirchlichen Ständen! Sie wollen lieber Gott heiraten und stellten die Ehre ihres Fleisches wieder her.“ Stefan Heid (in „Zölibat in der frühen Kirche“) geht, sich auf Hippolyt berufend, davon aus, dass im 2. Jahrhundert in Rom „höhere Kleriker generell nicht heiraten“ durften, eine Ausnahme bildeten lediglich die Diakone.

Im 3. Jahrhundert werden die literarischen Zeugnisse für die Kleriker-Enthaltsamkeit häufiger und deutlicher, besonders im Osten. So etwa lautet ein Absatz aus der sogenannten syrischen Didaskalie, der Kirchenordnung: „Der Bischof muss ein Mann sein, der eine einzige Frau genommen und sein Haus gut geführt hat. Also soll er geprüft werden, bevor man ihm die Hände auflegt, um das Bischofsamt zu übernehmen: ob er keusch ist und ob seine Frau ebenso gläubig und keusch ist und  ob er seine Kinder in der Gottesfurcht erzogen hat.” In der um 300 im syrischen oder ägyptischen Raum verfassten „Apostolischen Kirchenordnung“ heißt es sogar zum Bischofskandidaten: „Gut ist es, dass er ohne Frau ist, wenn aber nicht, dass er von seiner einzigen Frau los ist“. Damit ist wohl die heute noch in der orthodoxen Kirche gepflegte Praxis angedeutet, dass ein verheirateter Bischof seine Frau ins Kloster zu schicken hat. Gut möglich ist aber auch, dass die Stelle meint, dass er verwitwet sein sollte.

Der große Theologe Origenes aus Alexandrien (†253) kennt gleichfalls einen verbindlichen Enthaltsamkeitszölibat, den er in verschiedenen Schriften theologisch begründet und vertieft. In seinem Spätwerk „Gegen Kelsos“ (um 245) schreibt er: „Diejenigen Christen … halten sich, sobald sie die Lehre Jesu angenommen und sich Gott anvertraut haben, von Lüsternheit und Lasterhaftigkeit … so weit entfernt, dass sich viele von ihnen nach Art vollkommener Priester, die jeden Geschlechtsverkehr verabscheuen, vollständig rein bewahren…“ Das lässt sich nur so deuten, dass Enthaltsamkeit bei den „vollkommenen Priestern“ die Norm, bei gläubigen Laien aber ebenfalls ein Ideal war, eine Einstellung, die Origenes auch in anderen Schriften wiederholt.

Sie werden nun zurecht einwenden, dass wir bislang noch im Bereich der doch recht spekulativen Rückschlüsse, bestenfalls der Schriftauslegung, der Exegese blieben. In der Tat sind überhaupt die Zeugnisse zur kirchlichen Organisation und sakramentalen Praxis aus der Zeit vor der großen Christenverfolgung des Diokletian mager; zu viel ist während der Verfolgung zerstört worden.

Umso wertvoller ist das erste Zeugnis aus Zeit nach der Verfolgung, als sich die Kirche, die gerade ihre größte Katastrophe durchlitten hatte, allmählich wieder sammelte und neu definierte. So fand im Jahre 306 in Elvira (eigentlich Iliberis), dem heutigen Granada, eine Synode statt, auf der alle Bischöfe, Priester und Diakone der iberischen Halbinsel zusammenkamen. Dort, in den Akten der Synode, im 33. Kanon, heißt es eindeutig:

„Wir beschlossen ein generelles (in totum!) Verbot für verheiratete Bischöfe, Presbyter und Diakone oder auch alle Kleriker, die in ihr Amt eingesetzt wurden: sie sollen nicht mit ihren Frauen zusammenkommen und Kinder zeugen. Zuwiderhandeln wird mit der Amtsenthebung bestraft.“

Das ist kein Eheverbot, aber ein ganz eindeutiges Enthaltsamkeitsgebot für alle Kleriker, ganz wie es für die apostolischer Zeit postuliert wurde. Damit haben wir die frühkirchliche Praxis eindeutig definiert. Nein, es gab noch keinen Zölibat, denn der Begriff (von lat. caelebs = ehelos) steht allein für die Ehelosigkeit. Aber es gab zumindest ab dem 4. Jahrhundert, nach Indizienlage sogar seit dem 1. Jahrhundert, eine unbedingte Verpflichtung zur Enthaltsamkeit der Kleriker. Völlig undenkbar jedenfalls ist, dass die spanischen Bischöfe damals einen Sonderweg gingen und sich Pflichten auferlegten, die in anderen Provinzen der christlichen Welt unbekannt waren. Im Gegenteil: Ihr Urteil ist repräsentativ für die gesamte Kirche dieser Zeit.
Wie zutreffend diese Einschätzung ist, ersehen wir aus der um 320, also noch vor dem Konzil von Nicaea verfassten „Evangelischen Beweisführung“ des Eusebius von Caesarea, immerhin Autor der ersten Kirchengeschichte. Dort heißt es: „Das (Schrift-)Wort sagt, dass der Bischof ‚einer Frau Mann‘ sein muss (1 Tim 3,2). Jedoch kommt es den Geweihten, die dem Dienst an Gott obliegen, zu, sich fortan des ehelichen Umgangs zu enthalten.“ Für die Laien dagegen gilt: „Die aber, die nicht eines so großen Gottesdienstes gewürdigt wurden, konzediert das Wort klar genug, dass es die meisten verstehen, dass ‚die Ehe ehrbar und der Beischlaf unbefleckt ist, Gott aber Unzüchtige und Ehebrecher verurteilt‘ (Hebr 13,4).“

Als Gegenbeleg wird gerne eine Anekdote angeführt, die Sokrates Scholasticus, ein byzantinischer Kirchengeschichtler des frühen 6. Jahrhunderts, uns vom Konzil von Nicaea überliefert. Bei ihm heißt es: „Es gefiel den Bischöfen, ein neues Gesetz in der Kirche einzuführen, dass die Kleriker, nämlich die Bischöfe, Presbyter und Diakone, nicht mehr ihren Frauen, die sie noch als Laien geheiratet hatten, beiwohnten.“ Dagegen habe der greise Bischof Paphnutios aus der ägyptischen Thebais plädiert, „den Klerikern keine zu schwere Lasten aufzubürden. Ehrbar sei das Ehebett und die Ehe makellos! Es genüge vielmehr, dass jene, die bereits zum Klerus zählen, nicht mehr heiraten, wie es alter kirchlicher Überlieferung entspreche. Sie sollten nicht von jenen getrennt werden, die sie einst, noch als Laien, in erster Linie einführten.“
Immerhin bestätigt auch diese Anekdote das Heiratsverbot für bereits geweihte Kleriker. Doch sie ist nicht wahr, wie der Ostberliner Byzantinist Friedrich Winkelmann 1968 nachwies: Vielmehr handelt es sich um eine Legende des 5. Jahrhunderts, die den Märtyrer Paphnutios, von dem wir nicht einmal wissen, ob er überhaupt ein Bischof war, glorifizieren  sollte. Offenbar diente sie auch dem Zweck, eine allmähliche Aufweichung der klerikalen Enthaltsamkeit zu legitimieren und sich dafür einen Gewährsmann und heiligmäßigen Fürsprecher zu sichern. Ein Bischof dieses Namens hat jedoch nach den authentischen Konzilsakten nie am Konzil von Nicaea teilgenommen! Damit aber ist auch der einzige Beleg, den Zölibatskritiker gegen ein frühes Enthaltsamkeitsgebot für Kleriker anführen, hinfällig.

Im Gegenteil. Schon im Vorfeld von Nicaea, auf den Synoden von Ankyra (314) und Neocaesarea (um 320), wird geweihten Klerikern die Ehe verboten, was nicht nur Heid wie folgt auslegt: „Weil nämlich verheiratete Kleriker keinen Geschlechtsverkehr mehr haben dürfen, ist auch eine Heirat sinnlos, da eine solche Ehe nicht vollzogen werden kann.“ Bei Verstoß wird mit dem Ausschluss aus dem Klerikerstand gedroht.
Wie der allgemeine Stand in der Kirche nach dem ersten Konzil 325 war, entnehmen wir den Schriften des Epiphanios von Salamis (ca. 315-403), der in seinem um 375 verfassten „Arzneikasten“ auch zur Klerikerdisziplin Stellung nimmt. Er schreibt:

„Seit der Zeit Christi nimmt in der Tat wegen der höheren Würde des Priestertums die heilige Gotteslehre keinen zum Priester an, der nach einer ersten Ehe und dem Tod seiner Frau eine zweite Ehe eingegangen ist. Und das wird von der heiligen Kirche Gottes mit Sicherheit genau eingehalten. Sie akzeptiert nicht einmal jenen Mann, der zwar in erster Ehe lebt, aber noch seiner Frau beiwohnt und Kinder zeugt. Sie akzeptiert aber jenen, der sich von seiner ersten Frau enthält, oder den Witwer als Diakon, Presbyter, Bischof und auch Subdiakon, vor allem wo strikte kirchliche Kanones vorliegen.
Aber mancherorts, wirst du sicher einwenden“,
so Epiphanios weiter, „zeugen Presbyter, Diakone und Subdiakone immer noch Kinder. Das entspricht aber nicht der kanonischen Bestimmung, entspringt vielmehr der Menschennatur, die schon einmal leichtsinnig ist, oder hat seine Ursache darin, dass wegen des Andrangs der Menschen (zur Taufe) keine geeigneten Männer für den Dienst zu finden waren.“
Eindeutiger geht es also kaum. Obwohl es einzelne Ausnahmen gab, in denen, so der Bischof, eindeutig gegen kanonisches Recht verstoßen wurde, ist es die Regel der gesamten Kirche, dass Kleriker zwar verheiratet sein durften, aber enthaltsam zu leben hatten. Das wird bestätigt durch seinen Zeitgenossen, den Kirchenvater Hieronymus (347/8 – 419/20), der Epiphanios persönlich kannte und mit ihm 382 an einer Synode in Rom teilnahm. Auch Hieronymus stellt kategorisch fest:

„Die Apostel waren jungfräulich, zum mindesten lebten sie, soweit sie verheiratet waren, enthaltsam. Zu Bischöfen, Presbytern und Diakonen wählt man Leute, die jungfräulich oder verwitwet sind, oder solche Männer, die nach Empfang der Priesterweihe ständige Enthaltsamkeit üben.“

Schließlich schrieb auch Papst Leo der Große um 450, die Geweihten sollten ihre Gattinnen nicht verstoßen. Sie sollten beieinander bleiben, doch „so, als hätten sie sie nicht” – wie Paulus im 1. Korintherbrief 7, 29 geschrieben hatte.

Die weitere Entwicklung fasst Heid zusammen: „Generell ist der Trend zum ehelosen Priestertum unverkennbar. Bei der Kandidatenauswahl bevorzugt man unverheiratete Männer. Nur wenn diese nicht zur Verfügung stehen, greift man auf Ehemänner zurück. In dieser Richtung äußern sich Chrysostomos (Johannes Chrysostomos, Erzbischof von Konstantinopel um 400) und Epiphanios. Dabei spielt der wachsende Einfluß der asketischen Bewegung eine wichtige Rolle. Denn unter den ehelosen Kandidaten sind vielfach Mönche, die immer mehr in den Klerus eindringen. Mag auch der Zölibat im Sinn der Ehelosigkeit eine Erfindung des Westens sein; das allmähliche Übergewicht des ehelosen Klerus gegenüber den verheirateten Geistlichen ist doch auch ein Phänomen des Ostens. Diese Entwicklung spielt sich etwa zur gleichen Zeit ab, als auch im Westen das monastische Modell der Klerikerklöster Fuß fasst.“

Eine menschliche, allzu menschliche Tatsache ist aber auch, dass die von Klerikern geforderte Enthaltsamkeit schwer kontrollierbar war und bestimmt in nicht wenigen Fällen einfach ignoriert wurde. So erschien es als notwendig, dass dieses Thema auf der Synode von Karthago 390 erneut zur Sprache kam. Dort erklärte Epigonius, Bischof von Bulla Regia: „Wie in einem früheren Konzil hinsichtlich der Enthaltsamkeit und Keuschheit festgelegt wurde, fordere ich, dass man jene drei Weihestufen, die aufgrund ihrer Weihe strikt zur Keuschheit verpflichtet sind, nämlich Bischöfe, Presbyter und Diakone, nochmals ausführlich belehrt, diese Keuschheit einzuhalten.“

Ihm pflichtete Bischof Genethlius bei, sich ausdrücklich auf die apostolische Praxis berufend, und begründet die neuerliche Belehrung „damit, was die Apostel gelehrt haben und seit alters her beobachtet wird, auch wir einhalten.“

Am Ende verabschiedeten die Bischöfe diese Formulierung: „Alle stimmen darin überein, dass Bischöfe, Prebyter und Diakone Keuschheit bewahren, sodass sie auch mit ihren Ehefrauen keinen Umgang haben und in allem die Keuschheit von all jenen beobachtet wird, die dem Altar dienen.“
Auch eine von Papst Siricius 385 einberufene Synode mahnte ausdrücklich die „Keuschheit der Kirche“ an. Längst hatten die Sekten der Donatisten und Novatianer, die glaubten, die Sittlichkeit und Reinheit gepachtet zu haben, jeden Fehltritt katholischer Kleriker öffentlich angeprangert. Jeder gemeldete Fehltritt schürte den Streit zwischen den Kirchen. So war es dem Papst ein Anliegen, keine weitere Angriffsfläche zu bieten und von sich aus die oft mangelhafte Disziplin zu bekämpfen. In Anwesenheit von 80 italischen Bischöfen, also praktisch dem gesamten Episkopat der Halbinsel, mahnte er in dem Dekretale Cum in Unum an: „Außerdem weisen wir, was angemessen, sittsam und ehrenhaft ist, dass die Priester und Leviten (Diakone) nicht mit ihren Gattinnen geschlechtlichen Verkehr haben.“

Dass diese Regel für den gesamten Westen gilt, zeigte sich, als Papst Innozenz  dem Missionsbischof von Flandern, Victricius, am 15. Februar 404 das Dekretale Etsi Tibi übersandte. Darin heißt es, offenbar Cum in Unum zitierend: „Außerdem muss die Kirche in jeder Weise eingehalten, was angemessen und ehrenhaft ist, dass die Priester und Leviten nicht mit ihren Gattinnen geschlechtlichen Verkehr haben.“

Doch wie sollte mit jenen verfahren werden, die diese Weisung ignorierten? Das klärte das Dekretale Consulenti Tibi, das der Papst (Innozenz) am 20. Februar 405 dem Toulouser Bischof Exsuperius übersandte:
„Du fragst, wie mit jenen, die im Diakonendienst oder Priesteramt stehen, zu verfahren ist, wenn sie erwiesenermaßen nicht enthaltsam leben oder gelebt haben, sofern sie Kinder gezeugt haben. Darüber lassen die göttlichen Gesetze keinen Zweifel und sprechen auch die Mahnschreiben des Bischofs (Papstes) Siricius seligen Andenkens ein klares Wort. Dass solche Amtsinhaber, wenn sie nicht enthaltsam leben, jeder kirchlichen Würde entkleidet und nicht mehr zum Dienst hinzutreten dürfen, der nur in Keuschheit erfüllt werden darf.“

Zu welchen Abweichungen von der Norm es zu diesem Zeitpunkt bereits kam, belegt der Gesetzescodex des Theodosius aus dem Jahre 420: „Jeder, der ein für die Welt bedeutendes Amt innehat, darf sich nicht durch die Gemeinschaft mit einer sogenannten Schwester kompromittieren. Wer also mit dem Priestertum welchen Grades auch immer ausgestattet ist oder die Würde eines Klerikers innehat, der soll wissen, daß ihm die Gemeinschaft mit ‚auswärtigen‘ Frauen untersagt ist. Es sei ihnen nur erlaubt, ihre Mutter, Tochter oder Schwester innerhalb des Hauses zu haben; denn mit ihnen besteht ein natürliches Band, das es nicht zuläßt, irgendeine böse Vermutung zu hegen.“ Dagegen wird das Zusammenleben mit einer schon vor der Priesterweihe geheirateten Frau ausdrücklich erlaubt, solange allein „keusche Liebe“ praktiziert wird und sich die Betroffenen „durch ihren Lebenswandel des Priestertums würdig“ erweisen.

Auch das Gesetz des Justinian von 535 nimmt sich dieser Frage an: „Nur die sollen geweiht werden, die enthaltsam bzw. nicht mit einer Frau zusammenleben oder Mann einer einzigen Frau waren bzw. sind. Und sie (die Frau) muss enthaltsam und jungfräulich sein… Wenn aber ein Presbyter oder Diakon oder Subdiakon später heiratet oder eine Konkubine nimmt, sei es offen oder heimlich, muss er sofort aus dem heiligen Amt entfernt und fortan abgesetzt sein.“ Für die Bischöfe wird dagegen festgelegt, dass sie keine Kinder haben und nicht mit einer Frau zusammenleben dürfen; allenfalls dürfen sie verwitwet sein. Alles läuft hier also schon auf einen zölibatären, jungfräulichen Mönchsepiskopat hin, wie er sich im Osten bereits seit einiger Zeit angebahnt hatte und wie er heute noch vorherrscht. Eine Neuerung stellt ein bereits 528 erlassenes Gesetz dar, das Väter von der Priesterweihe ausschließt.

Wie kontinuierlich die Entwicklung im Westen weiter verlief, zeigt das 3. Konzil von Toledo 589, an dem die gallischen und spanischen Bischöfe teilnahmen und in dem es nach der Konversion des Gotenkönigs Reccared und seiner Völker um  den Umgang mit dem vormals arianischen Klerus ging. Dort heißt es:
„Dem heiligen Konzil ist es zu Ihren gekommen, dass sich Bischöfe, Presbyter und Diakone, die aus der Häresie kommen, noch in fleischlichem Verlangen mit ihren Ehefrauen vereinigen. Damit das also künftig unterbleibt, wird angeordnet, was schon frühere Kanones bestimmt habe: dass es ihnen nicht erlaubt ist, in begierlicher Gemeinschaft zu leben, wohl aber, dass sie sich in ehelicher Treue gegenseitig helfen; und dass sie nicht im selben Schlafgemach bleiben, sondern dass er (der Kleriker) seine Frau gegebenenfalls um der Tugend willen in einem anderen Haus wohnen läßt, um so ihre Keuschheit vor Gott und den Menschen zu bezeugen.“

Damit ist die Beweislage wohl eindeutig: In den ersten 700 Jahren des Christentums gab es in der Tat noch keinen Pflichtzölibat im Sinne verpflichtender Ehelosigkeit. Verheiratete Männer durften Diakone und Priester, zunächst sogar Bischöfe werden – unter einer Bedingung: Sie hatten vom Moment ihrer Weihe an strikt enthaltsam zu leben. Wer sich daran nicht hielt, sollte seines Amtes enthoben werden.
Wir finden allerdings aus dieser Zeit auch Hinweise auf die Problematik dieser Praxis. Wie, bittesehr, sollte die Enthaltsamkeit verheirateter Priester überprüft werden? Vorschläge wie jenen, mit der Ehefrau kein Schlafgemach zu teilen oder sie gar in einem getrennten Haus unterzubringen, waren gewiss ehrenhaft, aber scheiterten oft an der Praxis. Diese Problematik führte am Ende zu getrennten Wegen in der West- und in der Ostkirche, wie wir sie heute noch kennen. Im Osten zum Pflichtzölibat für den Bischof, während Diakone und Priester allenfalls zur Keuschheit ermahnt aber keineswegs mehr verpflichtet werden. Im Westen zum Pflichtzölibat für Priester und Bischöfe, der natürlich die Verpflichtung zur Enthaltsamkeit beinhaltete. Der Zeitpunkt, an dem diese Trennung der Praxis begann, lässt sich sehr genau definieren:

Rund 150 Jahre nach der Gesetzgebung des Justinian, unter Kaiser Justinian II. (685 bis 711), kam es im Trullosaal des Kaiserpalastes von Konstantinopel zum sogenannten „Trullanischen Konzil“ von 691, auf dem der Kaiser und die Bischöfe erneut die klerikale Disziplin festlegten. Es sollte zum großen Bruch zwischen West und Ost in der Zölibats führen.

Denn plötzlich wird, ohne Präzedenzfall in der früheren Kirchengeschichte und ohne legitime theologische Begründung, die Enthaltsamkeitspflicht für Priester und Diakone aufgehoben; lediglich an Tagen des Altardienstes sollten sie, wie auch die Laien, abstinent leben. Damit wurde eben jene Regelung ins Leben gerufen, die noch heute in den orthodoxen Kirchen gilt. Lediglich von den Bischöfen wird strikte Enthaltsamkeit verlangt; sie werden jetzt sogar aufgefordert, sich von ihren Frauen ganz zu trennen.
Der Papst hat dieses vom Kaiser bestimmte Trullanum nie anerkannt. So blieb es im Westen noch Jahrhunderte lang bei der urkirchlichen Praxis, bis eine immer lauer werdende Disziplin im 10.-13. Jahrhundert zu einer Reihe von Reformbemühungen der Päpste führte. Im Jahre 1022 ordnete Papst Benedikt VIII. auf der Synode von Pavia gemeinsam mit Kaiser Heinrich II. an, dass Geistliche generell künftig nicht mehr heiraten durften. Verstöße gegen den Zölibat wurden mit Kirchenstrafen belegt, und bereits verheirateten Geistlichen sollten Amt und Besitz entzogen werden. Als Begründung spielte vor allem die kultische Reinheit eine Rolle, da es für Priester üblich wurde, die Heilige Messe täglich zu zelebrieren. Von Bedeutung war in diesem Prozess aber auch die Tatsache, dass bei verheirateten Klerikern Kirchenbesitz an deren Kinder vererbt worden wäre. Festgelegt wurde daher auch, dass die Kinder der Kleriker als Kirchenhörige unfrei waren. 1031 wurde es auf der Synode von Bourges allen Gläubigen verboten, einen Kleriker oder dessen Kinder zu heiraten. Zur Zeit von Nikolaus II. verbot die Lateransynode von 1059 jenen Priestern, denen ein notorisches Konkubinat nachgewiesen werden konnte, die Zelebration der Heiligen Messe. Speziell in Deutschland stieß diese Reform auf so heftigen Widerstand, dass etwa Bischof Altmann von Passau von seinem zölibatsunwilligen Klerus aus seinem Bistum gewaltsam vertrieben wurde. In Frankreich wurden päpstliche Gesandte, die auf Zölibatsdisziplin dringen sollten, mit dem Tode bedroht, und der hl. Abt Walter von Pontoise wurde auf einer Pariser Synode von den reformfeindlichen Bischöfen verprügelt und ins Gefängnis geworfen. Bis zum 2. Laterankonzil (1139) gab es sowohl verheiratete als auch unverheiratete Priester, die vom Zeitpunkt ihrer Weihe an zur sexuellen Enthaltsamkeit aufgerufen waren. Das Konzil legte nun fest, dass „höhere Kleriker, die geheiratet haben oder eine Konkubine halten, […] Amt und Benefizium“ verlieren (Kanon 6) und dass Messen von Priestern, die eine Ehefrau oder Konkubine haben, „nicht mehr gehört werden“ dürfen (Kanon 7). Im gleichen Zuge wurde die Priesterweihe im Rechtsverständnis der römisch-katholischen Kirche zu einem trennenden Ehehindernis – was sie bis heute ist. Am Ende setzte sich diese Reform durch und führte einen neuen religiösen Aufschwung herbei.

Dazu merkte Kardinal Walter Brandmüller an: „Es ist bemerkenswert, dass Infragestellung und Missachtung des Zölibats in der Vergangenheit stets mit anderen Symptomen kirchlichen Verfalls Hand in Hand gegangen ist, während Zeiten religiöser Blüte und kulturellen Aufschwungs durch gewissenhafte Beobachtung des Zölibats gekennzeichnet waren. Aus dieser historischen Beobachtung die Konsequenzen für unsere gegenwärtige Krisensituation zu ziehen, ist nicht schwer.“

Eine Aufhebung des Zölibats dagegen würde dem Priesteramt seine Einzigartigkeit und seine Heiligkeit nehmen, es von einer echten Berufung zur kompromisslosen Christusnachfolge zu einem reinen Job degradieren. Ich wage zu behaupten: Der Zölibat ist der TÜV, ist die beste „Qualitätsprüfung“ für den Priesteramtsanwärter. Nur einer, der würdig ist, alles Weltliche aufzugeben, um konsequent allein Gott zu dienen, hat die Priesterweihe verdient. Beachten wir doch, dass gerade in vielen ärmeren Ländern der Priester nicht nur einen hohen Sozialstatus genießt, sondern auch Zugang zu Geldmitteln, Spenden etwa hat. Welche Versuchung stellt das für junge Akademiker dar, die in anderen Berufen sehr viel schlechter gestellt wären? Ein verheirateter Mann ist an erster Stelle doch, so ist die Natur des Menschen, für seine Frau und seine Kinder da. Ein Priester aber sollte doch ganz dem Herrn und seiner Gemeinde gehören. Eine Aufhebung der Zölibatsverpflichtung öffnet also das Tor auch für Opportunisten, für solche, denen es mehr um den Status oder die finanzielle Sicherheit des Priesteramtes geht, ohne dass sie bereit sind, dafür ein Opfer zu bringen. Vor solchen unheiligen Priestern bewahre uns Gott!

Woran die Kirche gerade in dieser Zeit des Unglaubens und der scheinbaren Gottesferne genesen kann, ist die gelebte Heiligkeit ihrer Priester. Heiligkeit ist kompromisslose Christusnachfolge in jedem Bereich des Lebens, ist auch und gerade, um den von Papst Benedikt in seiner Freiburger Rede ins Spiel gebrachten Begriff aufzugreifen: ENTWELTLICHUNG. Es gibt keine konsequentere Entweltlichung als den Zölibat. Darum ist er wichtig, darum darf er nicht aufgegeben werden, denn seine Aufgabe hieße, die Kirche an die Welt zu verraten.

Um noch einmal Kardinal Brandmüller zu hören: „Wenn es denn gesicherte historische Erkenntnis ist, dass alle Kirchenreform, die diesen Namen verdient, aus einer vertieften Erkenntnis des Glaubens der Kirche erwächst, dann wird auch die gegenwärtige Bestreitung des Zölibats durch eine neue und tiefere Erfassung des Wesens des Priestertums überwunden werden. Je deutlicher es gelehrt und verstanden wird, dass das Priestertum der Kirche nicht eine Dienstfunktion ist, die im Auftrag der Gemeinde ausgeübt wird, sondern darin besteht, dass der Priester kraft des Sakraments der Weihe „in persona Christi” lehrt, leitet und heiligt, dann wird neu verstanden, dass er auch die Lebensform Christi übernimmt. Ein so verstandenes und gelebtes Priestertum wird aufs Neue seine Anziehungskraft auf die Elite der Jugend erweisen.

Natürlich wird der Zölibat auch weiterhin wie die Jungfräulichkeit bzw. das „Eunuchentum“ um des Himmelreiches willen ein Stein des Anstoßes und für alle Nichtgläubigen ein Ärgernis bleiben. Das war schon immer so, darum dürfen wir uns darüber nicht wundern und uns noch weniger davon beeinflussen lassen. Schon der Herr selbst hat dazu gesagt: „Wer es erfassen“, besser noch: „wer es begreifen kann, der begreife es.“ Nicht jeder kann das verstehen, kann das begreifen. Doch das gilt für alle Mysterien unseres Glaubens. Vertrauen wir daher der Weisung des Herrn, statt Seine Kirche nach unserem menschlichen Verständnis umbauen zu wollen. Denn damit können wir nur scheitern. Die Kirche muss eine Kirche Gottes bleiben und darf nicht zur Kirche des Menschen werden. So ist ein gelebter Zölibat gerade auch in unserer Zeit, in der man mit so viel Spott und Unverständnis rechnen kann, ein authentisches Glaubenszeugnis. Er kann sogar zum Martyrium werden. Auf jeden Fall aber ist er ein gerader Weg zur Heiligkeit.