Michael Hesemann, Historiker und Autor
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Laudatio auf den H.H. Domkapellmeister i.R.,
Prälat Prof. Dr. Georg Ratzinger,
anlässlich seines 90. Geburtstages
am 15. Januar 2014 gefeiert im Vatikan,
gehalten von Michael Hesemann


Heiliger Vater,
Exzellenzen,
Hochwürdigster Herr Prälat oder besser:
lieber Herr Domkapellmeister,

da ich Ihren Sinn für Humor kenne und liebe und selber bekanntlich Rheinländer bin, darf ich mit etwas Humorigem beginnen.

Als Papst Johannes Paul II. nach Köln kam, heißt es in dieser nicht wahren, aber gut erfundenen Geschichte, bat er abends noch Kardinal Meisner, ob er ihm seinen Wagen samt Fahrer zur Verfügung stellen könnte. Natürlich konnte der Kardinal ihm diesen Wunsch nicht abschlagen und so fuhr der Fahrer mit dem Papst durch das nächtliche Köln bis zur Autobahn. Dort, auf der A3, meinte der Papst: "Ich habe schon so viel von den deutschen Autobahnen gehört und würde gerne einmal ohne Geschwindigkeitsbegrenzung fahren. Erlauben Sie, dass wir die Plätze wechseln, dass ich fahre?" Natürlich konnte auch der Fahrer dem Papst keinen Wunsch abschlagen. So jagte Johannes Paul II. mit 180 Stundenkilometern über die A3, auf der … nur 100 km/h erlaubt sind. Bald stoppte eine Polizeistreife den Raser, verlangte Führerschein- und Fahrzeugpapiere … um den ungewöhnlichen Fang bei der Zentrale zu melden.
„Kassieren Sie sofort den Führerschein ein und beschlagnahmen Sie den Wagen“, wies die Zentrale an.
„Aber wir haben es hier mit einem sehr wichtigen Mann zu tun!“
„Das interessiert uns nicht. Vor dem Gesetz sind alle gleich!“
„Aber der Mann ist wirklich sehr prominent!“
„Ja, wer ist es denn?“
„Das weiß ich nicht“, erwiderte der Streifenbeamte, „aber sein Fahrer ist der Papst!“

Ich musste ein wenig an Sie denken, lieber Herr Domkapellmeister, als ich diese kleine, witzige Geschichte höre. Denn auch wenn der Heilige Vater Sie nicht zu fahren pflegt – wer kann von sich schon sagen: „Mein kleiner Bruder ist der Papst!“?

Doch genau so ist es nun mal und Sie können, auch wenn Stolz Ihnen so gar nicht liegt, gewiss für sich in Anspruch nehmen, als älterer Bruder stets so etwas wie das Vorbild, das „role model“, des Jüngeren gewesen zu sein: Sie gingen ihm voran, als Sie in Tittmoning Ministrant wurden, Sie besuchten vor ihm das erzbischöfliche Knabenseminar in Traunstein, fanden vor ihm Ihre Berufung zum Priestertum. Erst nach dem Krieg, beim Eintritt in das Freisinger Priesterseminar, trafen Sie sich gewissermaßen auf Augenhöhe um schließlich am gleichen Tag, dem 29. Juni 1951, durch Michael Kardinal Faulhaber die Priesterweihe zu empfangen. Erst dann teilten sich Ihre Wege, wie es ihren unterschiedlichen Talenten und dem Willen Gottes entsprach.

Und in der Tat glaube ich, schon in Ihren Geburtstagen so etwas wie einen Wink der göttlichen Vorsehung zu erkennen.

Ihr Bruder, der Heilige Vater, wurde an einem Karsamstag geboren, und kein Tag im Kirchenjahr entspricht so sehr dem Wesen des Theologen. Es ist der große Tag der Contemplatio, der Stille, des Innehaltens, des Betrachtens, des zu verstehen Versuchens – wie die Jünger des Herrn, von denen Johannes (20,9) schreibt: „Noch hatten sie die Schrift nicht verstanden, dass er von den Toten auferstehen musste.“ Als Historiker mag ich mich jetzt auf glattes Parkett begeben, wenn ich zu behaupten wage: Dieser Versuch, das Geschehen von Golgota zu verstehen, war die eigentliche Geburtsstunde der Theologie. Und deshalb ist der Karsamstag der symbolträchtigste Geburtstag für einen großen Theologen.

Sie aber, Herr Domkapellmeister, wurden noch in der Weihnachtszeit geboren, eben am 15. Januar. Von ihrem ganzen Wesen her sind Sie genau das: ein weihnachtlicher Mensch. Weihnachten, das ist nicht die Stunde der Theologie, es ist die Stunde des Jubilierens. Es ist die Geburtsstunde der Kirchenmusik! Denn was taten die Engel, die „Menge himmlischer Heerscharen“, von der Lukas (1,13) berichtet, anderes, als sie „Gott lobten“, als dass sie sangen: „Herrlichkeit in den Höhen für Gott und auf der Erde Friede den Menschen seiner Huld!“ Das Gloria haben sie damals gesungen! Und ihr halbes Leben lang, lieber Herr Domkapellmeister, haben Sie versucht, den Regensburger Domspatzen so reine und klare Klänge zu entlocken wie die Engel sie sangen, um etwas von der himmlischen Herrlichkeit und der Freude über die Menschwerdung Gottes hier auf Erden spürbar werden zu lassen.

Indem Sie gewissermaßen aus Bengeln Engel werden ließen (zumindest wenn diese auf der Bühne standen), wurden Sie zum Missionar dieses himmlischen, gesungenen Glorias in der Welt. Dabei waren sie zugleich erster Kulturbotschafter ihrer bayerischen Heimat, die dem Himmel vielleicht ähnlicher ist als irgendein anderes Fleckchen auf dieser schönen Erde.

Denn eben dort, in Pleiskirchen, gesegnet durch die Nähe zu Altötting und damit unter dem Schutz der Gottesmutter, in einer Gemeinde, die bis 1803 dem Erzstift Salzburg unterstand, kamen Sie zur Welt: in einem Landstrich, der mit Mozart den vielleicht größten aller Komponisten hervorgebracht hat, in dem aber auch die Gelehrsamkeit der Benediktiner und die prachtvolle Baukunst des Barock ihre höchste Blüte erreichten.

Hier treffen sich die beiden Ratzinger-Brüder wieder: der eine als Repräsentant dieser benediktinischen Gelehrsamkeit, der andere als Botschafter der barocken Klangschönheit, die den Gesang der Engel und das himmlische Jerusalem erahnen lässt. Die Theologie ist die Königin der Wissenschaften, denn der Wissenschaftler sucht die Wahrheit, während der Theologe längst ihr Mitarbeiter, ihr Cooperator, geworden ist. Die Musik aber, so muss man bei allem Respekt vor der hohen Theologie eingestehen, steht über der Wissenschaft. Denn in der Gegenwart Gottes werden keine gelehrten Vorlesungen mehr gehalten, da preist man den Herrn. Der Lobpreis Gottes immerhin ist der Sinn und Zweck der Schöpfung, Musik die Sprache der Engel.

In Ihrem Dienst an der Musik, lieber Herr Domkapellmeister, sind Sie auch Ihrem Bruder eine Inspiration gewesen, denn sein Werk, so theologisch-wissenschaftlich es auch sein mag, atmet immer auch Musik. So wurde er zum „Mozart der Theologie“, was eben bedeutet, dass er in der Sprache der Engel, der Musik, lehrt. Schönheit und Klarheit sind wichtige Merkmale der Wahrheit. Und dass er dies nie aus den Augen verlor, dass er nie dieses Gefühl der Nähe des Himmels vergaß, war wohl auch ein wenig Ihr Verdienst. Der schönste Satz, den ich von Ihnen in unserem Buch lesen konnte, handelte eben davon: „Gesang ist das subtilere Gebet. Das gesungene und musizierte Gotteslob packt den Menschen ganzheitlich. Es verleiht ihm noch eine ganz neue Dimension... So wird Musik zu einem Weg zu Gott.“

In der Liebe, der Schönheit und der Wahrheit finden wir Gott. Sie haben nicht nur Ihrem Bruder, ebenso wie Paul VI., Johannes Paul II. und den Konzilsvätern, vor denen Sie mit den Domspatzen auftraten, Gott durch die Musik ein wenig näher gebracht, sondern uns allen – in den 90 langen Jahren Ihres wahrhaft gesegneten Lebens. Darum, um Ihnen für dieses Lebenswerk zu danken, sind wir hier und heute zusammengekommen. Etwas von der Schönheit Gottes hat uns ihr Werk vermittelt, etwas von Seiner Güte Ihr Wesen – stets verständnisvoll, demütig, großzügig, vor allem aber: vom Glauben durchdrungen. Sie sind uns allen zu einem Vater im Glauben, zu einem Vorbild wahrer Herzensgüte geworden und wir beten, dass der Herr Ihnen noch lange die Kraft und Gesundheit schenkt, um dieses Vorbild weiter leuchten zu lassen. Vergelt’s Gott!

Möge der Herr Sie reich dafür segnen. Ad multos annos, Herr Domkapellmeister oder, wie es der selige und bald heilige Papst Johannes Paul II. zu sagen pflegte, den Sie bekanntlich mit den Stimmen der Domspatzen begeisterten: Sto lat, Hundert Jahre mögen Sie werden!


Michael Hesemann gratuliert Prälat Dr. Georg Ratzinger zum 90. Geburtstag!