Michael Hesemann, Historiker und Autor
Offizielle Homepage

Benedikt XVI. und der Heilige Gral



Papst Benedikt XVI. am 9. Juli 2006 mit der Reliquie des Santo Caliz
 
 

Papst Benedikt XVI. entdeckt den Heiligen Gral
 
 
Ein ganzes Bündel weißer und gelber Luftballons stieg in den Himmel auf, weißgelbes Konfetti, passend in den Vatikan-Farben, regnete auf ihn herab, als Papst Benedikt XVI. am 8. Juli 2006 als erster Papst seit 24 Jahren die alte Bischofsstadt Valencia an der spanischen Levante besuchte. Tagelang war die Stadt von ihren Bewohnern geschmückt worden, kaum ein Haus gab es, aus dem keine weißgelbe Fahne hing. Geradezu trotzig wollten die Spanier zeigen, dass sie zu ihrem Papst hielten, auch wenn die politischen Vorzeichen ganz anders waren. Der Linkskurs des Sozialisten Zapatero, speziell die Legalisierung der Homo-Ehe in dem eher als konservativ bekannten Land, hatten in der Vergangenheit zu deutlicher Kritik aus Kirchenkreisen geführt. Auch der Papstbesuch stand im Schatten dieser Irritationen; demonstrativ hatte Zapatero seine Teilnahme an der Papstmesse in Valencia abgesagt, begrüßte den Pontifex aber bei einem Höflichkeitsbesuch in der Bischofsresidenz.
 
Auch der Schock nach dem U-Bahn-Unglück am 3. Juli 2006, dem 42 Personen zum Opfer fielen, saß den Valencianern noch in den Gliedern. Obwohl die Behörden von Anfang an einen Terroranschlag bestritten, kursierten in Polizeikreisen Gerüchte, es habe unmittelbar vor der Entgleisung des Zuges eine Explosion gegeben. Die Leichen der Opfer waren zerrissen wie nach einem Bombenanschlag.
 
Trotzdem waren schon Anfang der Woche rund 150.000 Pilger aus aller Welt eingetroffen, um am 5. Welttreffen der Familien teilzunehmen, eine Initiative, die noch auf den im Vorjahr verstorbenen Papst Johannes Paul II. zurück ging. Doch an diesem Samstagmorgen gehörte Benedikt XVI. noch ganz den Valencianern. Und so stattete er zunächst einmal dem Herzen der Domstadt, ihrer siebenhundertjährigen Kathedrale, einen Besuch ab.
 
Das Domkapitel begrüßte den Papst am Portal, geleitete ihn in das Kirchenschiff, in dem sämtliche Kleriker der Kirchenprovinz Valencia versammelt waren. Doch bevor er mit ihnen den Klängen des Domchores lauschte, bog er rechts ab, in den geheimnisvollsten Raum der Kathedrale, die Capella del Santo Caliz, die Gralskapelle. Dort waren sämtliche spanischen Bischöfe versammelt, außerdem die Präsidenten der beiden Bruderschaften der Gralsritter, die sich den Schutz und die Verehrung der kostbaren Reliquie zur Aufgabe gemacht haben: Der Graf von Villafranqueza und Don Ignacio Carrau, Ex-Gouverneur der Provinz Valencia. 
 
Schon vor Monaten war Benedikt XVI. auf diesen Augenblick vorbereitet worden. Im Auftrag der Cofradia der Gralsritter hatte ich für ihn einen Kurzbericht verfasst, den ich ihm am 25. März 2006 im Rahmen der wöchentlichen Generalaudienz übergab. Dass diese Ausführungen mit Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen hat, bestätigte mir am 31. März 2006  das vatikanische Staatssekretariat. Als schließlich kurz vor Ostern eine Delegation aus Valencia den Pontifex traf, war dieser, wie es schien, schon bestens informiert. Mehr noch, er äußerte den Wunsch, vor der Reliquie still zu beten. Auch ein weiteres Anliegen der Valencianer, dass Benedikt XVI. mit dem Gral die hl. Messe nach dem "römischen Kanon" feiert, der alten Papstmesse, in deren Wandlungsformel explizit auf "eben diesen heiligen Kelch" (hunc praclarum calicem) Bezug genommen wird, fand Gehör. Nachdem ich ihm ebenfalls meinen Bericht und mein Buch zukommen ließ, legte der damalige Zeremonienmeister des Papstes, Erzbischof Piero Marini, für die Papstmesse in Valencia den römischen Kanon fest.
 
 

Don Jaime Sancho, Domherr der Kathedrale von Valencia, erklärt Papst Benedikt XVI. den Heiligen Gral
 
 
Als nun Don Jaime Sancho, oberster Domherr und Gralshüter der Kathedrale von Valencia, dem Papst den Heiligen Kelch zeigte, beugte sich Benedikt XVI. aufmerksam zu ihm hinunter. Noch schien er sich nicht zu trauen, das Gefäß zu berühren, mit dem der Tradition nach Jesus Christus selbst das Sakrament der Eucharistie in der Nacht vor seinem Leiden begründete. Dann erhielt er von Agustin Garcia-Gasco, dem Erzbischof von Valencia, eine Kopie des Santo Caliz als Geschenk überreicht. Nachdem er einen Brief an die spanischen Bischöfe unterzeichnet und sich in das Goldene Buch der Cofradia der Gralsritter eingeschrieben hatte, überreichte ihm Don Jaime Sancho die Kette eines Ehrenritters vom Hl. Gral, die Benedikt XVI. dankbar annahm.
 
Dann, nach einer nur zehnminütigen Feier, verließ der Papst die Kathedrale. Weil kurzfristig noch ein Besuch an der U-Bahn Station „Jesus“, vor der sich das Unglück ereignet hatte, und, im benachbarten Marienheiligtum, eine Begegnung mit den Angehörigen der Opfer in das ohnehin schon knappe Programm aufgenommen wurde, war die Zeremonie in der Kathedrale entsprechend verkürzt worden. Schließlich betrat er die Plaza de la Virgen und sprach zu den Bürgern von Valencia. Es sei sein Wunsch gewesen, "zuerst das Herz dieser alten und blühenden Kirche zu besuchen, die mich hier willkommen heißt, ihre schöne Kathedrale, in der ich vor dem Allerheiligsten Sakrament betete und innehielt vor der berühmten und verehrten Reliquie des Heiligen Kelches."
 
Ein lauter, begeisterter Applaus ging in diesem Augenblick durch die Menge. Als dritter Papst der Neuzeit, nach Johannes XXIII. und Johannes Paul II., hatte auch Benedikt XVI. den Reliquienstatus des Santo Caliz von Valencia, des historischen Heiligen Grals, anerkannt.
 
Als „Zeugen für Christi Aufenthalt auf Erden“ hatte ihn Papst Johannes Paul II. bei seinem Besuch in Valencia am 8. November 1982 bezeichnet. Erst am 17. Mai 2006 hatte das Erzbistum Valencia ein Buch veröffentlicht, in dem neun Experten unterschiedliche Aspekte seiner historischen und theologischen Bedeutung auf dem neuesten Stand der Forschung behandelten. So datierte der Archäologe Prof. Antonio Beltran von der Universität Saragossa die Entstehung der eigentlichen Reliquie, des Achatbechers, auf die Zeit zwischen 100 und 50 v.Chr. In meinem Beitrag zeige ich auf, dass die Verehrung dieser Reliquie die Sagen und Legenden um den „Heiligen Gral“ inspirierte. Das Buch wurde Benedikt XVI. persönlich übergeben.
 
Trotzdem war bis zuletzt unklar, ob der Papst auch, wie sein Vorgänger vierundzwanzig Jahre zuvor, mit dem Santo Caliz die hl. Messe feiern würde. Immerhin hatte die Generalitat von Valencia am 1. Juli angekündigt, sie wolle ihm eine € 9000,-- teure Kopie eines Kelches von Papst Callistus III. (1455-58) schenken und erwarte, dass er diese auch am 9. Juli benutzt. Sofort protestierte Ex-Gouverneur Don Ignacio Carrau in seiner heutigen Funktion als Präsident der Cofradia der Gralsritter: Es sei doch „logisch, dass der Papst mit dem Santo Caliz die Messe feiere und nicht mit einem neuen Kelch“. Nur damit würde er zum Ausdruck bringen, dass der Gral authentisch sei. Doch am Montag danach erklärte Vatikan-Sprecher Joaquin Navarro-Valls, es gäbe keine derartigen Pläne, „obwohl es immer noch möglich“ sei. 
 
Am Morgen des 9. Juli 2006 versammelten sich über zwei Millionen Pilger zur großen Abschlussmesse des Welttreffens der Familien auf der Puente de Monteolivete („Ölberg-Brücke“) in der futuristischen Ciudad de las Artes y las Ciencias („Stadt der Künste und der Wissenschaften“) am Rande von Valencia. Es herrschte Weltjugendtagsstimmung. Seit der Vigilfeier mit dem Papst am Vorabend hatten Zigtausende die Nacht im Freien verbracht, was bei nächtlichen 26 Grad gewiss kein allzu großes Opfer war. Bis in die Nacht hinein sangen und tanzten die Pilger unter dem Vollmond, dann zogen sie sich in ihre Zelte zurück oder schliefen auf Iso-Matten in den Grünflächen der parkartigen Anlage.
 
Gegen 9.00 Uhr früh wurden sie durch dramatische Musik geweckt, als Benedikt XVI. in seinem Papamobil eintraf, durch die Reihen der Pilger fuhr und frenetisch begrüßt wurde. Schließlich nahm er auf dem modernen Papstaltar Platz. In seiner Predigt, die mehrfach durch heftigen Applaus unterbrochen wurde, bekannte er sich zu dem „gottgewollten“ Modell der Familie als Keimzelle der Gesellschaft und erteilte gleichzeitig allen „alternativen“ Modellen eine Absage: „Die Familie ist gegründet auf der unauflöslichen Ehe zwischen einem Mann und einer Frau und drückt diese Dimension der Beziehung, der Kindschaft und der Gemeinschaft aus.“
 
Dann, als der Wortgottesdienst beendet war und die Eucharistiefeier begann, ging ein Raunen durch die Menge. Einer der Kelche, die von Don Jaime Sancho auf den Altar gestellt wurden, war der Santo Caliz, der Heilige Gral. Als Benedikt XVI. sich vor ihm verneigte und ihn andächtig küsste, bestand kein Zweifel mehr daran, wie er sich entschieden hatte. Zum zweiten Mal seit fast 1750 Jahren sollte wieder ein Papst mit jenem Kelch konsekrieren, mit dem wahrscheinlich Jesus Christus selbst einst das Sakrament der heiligen Eucharistie begründete. Dabei benutzte Benedikt XVI., wie von vielen erhofft, die Wandlungsformel des römischen Kanons: „Ebenso nahm er nach dem Mahl diesen erhabenen Kelch...“
                                                                                                              
Als er schließlich um 13.07 Uhr in einer Sondermaschine Spanien verließ, hatte er gleich zwei Zeichen gesetzt: eines für die Familie und ein zweites für die Tradition der Kirche und des christlichen Europas. Benedikt XVI. hatte den Heiligen Gral für sich entdeckt!
 
 

 
Erinnerung an Valencia: Michael Hesemann übergibt Papst Benedikt XVI. eine Filmdokumentation über den Heiligen Gral