Michael Hesemann, Historiker und Autor
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Michael Hesemann und die Künstlerin Anna-Monika Gräfin von Helldorff-May bei der Eröffnung der Parzival-Ausstellung in Wolframs-Eschenbach


Parzival und der Heilige Gral

Vortrag anläßlich der Eröffnung einer Ausstellung mit Gemälden von Monika Gräfin Helldorf
in Wolframs-Eschenbach am 28. Mai 2011


Das beliebteste Motiv der mittelalterlichen Literatur war die legendäre „Suche nach dem Heiligen Gral“. Sie wurde zur die ewige Suche des Menschen nach dem Göttlichen, aber auch für den Sinn des Lebens und eine Mission, die es wert war, dafür zu leben und zu sterben. Wir finden die Geschichte des Heiligen Gral erstmals in einem epischen Werk des französischen Troubadours Chretien de Troyes (ca. 1150-1190), "Perceval". Es blieb unverändert, was den Deutschen Wolfram von Eschenbach (ca.- 1160-1220) veranlasste, in seinem „Parzival“ die ganze Geschichte zu erzählen.



Sie handelte von einem jungen Mann, dessen Mutter Herzeloyde ihren Mann Gahmuret, einen Ritter, verloren hatte und die um jeden Preis verhindern wollte, dass ihn ein ähnliches Schicksal ereilte. So hielt sie ihn künstlich unwissend und zog ihm ein Narrengewand an und ihm beibrachte, all das zu tun, was sich eigentlich nicht gehörte oder was lächerlich wirkte. Doch wie das Schicksal es wollte begegnete der junge Parzival dann doch echten Rittern und schaffte es, dass sie ihn zum Hof des mythischen Königs Artus mitnahmen. Um zu prüfen, ob er würdig war, der legendären Tafelrunde beitreten, schickte der König ihn auf mehrere Aventuiren. So erschlug er den gefürchteten Ritter, um an seine Rüstung zu kommen. Jetzt darf er zumindest bei dem Ritter Gurnemanz „in die Lehre gehen“, der ihm höfische Manieren vermittelte, ihm aber auch riet, keine unnötigen Fragen zu stellen.



Eines Tages, auf einer seiner Reisen, fühlte der junge Ritter Heimweh. Auf dem Weg über die Pyrenäen gelangte er an einen entlegenen Wald, stößt auf einen See – bei Chretien ist es ein Fluß – an dessen Ufer er einem Fischer begegnet. Sofort lud ihn der Fremde in sein „Haus“ ein, beschreibt ihm den Weg. Bei Chretien reitet Perceval eine Schlucht hoch, bis er vor dem Gipfel eines Hügels einen festgebauten Turm, eine Halle eine Loggia findet, bei Wolfram reitet er bergab und sieht eine „vortrefflich befestigte Burg“ zu Füßen einer Felswand.



Jedenfalls trat er ein und wurde von einigen Dienern begrüßt und in eine Halle gebracht, in der er einem alten, todkranken König namens Anfortas begegnete. Während er mit ihm noch sprach, öffnete sich eine Tür und eine Prozession trat ein, die einen beeindruckenden „Gral“ –bei Chretien ein goldener Kelch, geschmückt mit Edelsteinen auf einem silbernen Teller, bei Wolfram ein „Stein“, also ein Steingefäß – trug und durch eine Tür am anderen Ende des Saales verschwand. Parzival wagte es nicht, zu fragen, was das alles zu bedeuten hatte. Als sich der König zurückzog, ging er schlafen. Am nächsten Morgen wachte er auf, doch alle anderen waren ausgeritten, und so zog er weiter. Im Wald begegnete er einer jungen Frau, seiner Cousine Sigune, die ihn aufklärte, dass er gerade auf der Gralsburg Munsalvaesche gewesen ist und mit einer einzigen Frage den leidenden Burgherrn hätte erlösen können, der nicht mehr leben wollte und nicht sterben konnte.

Parzival kehrte in das höfisch-ritterliche Leben zurück, Wolfram erzählt zudem die Parallelgeschichte des Ritters Gawan, bis ihn die hässliche Gralsbotin Cundrie aufsuchte und verfluchte, weil er es damals unterlassen hatte, den Anfortas zu erlösen. Doch Parzival macht Gott für dieses Versagen verantwortlich und flüchtet in die Gottverlassenheit bis hin zum Gotteshass. Aber er begibt sich auch auf eine jahrelange, verzweifelte Suche nach dem Gral.

Nach einem weiteren Exkurs über Gawan, der schließlich den Auftrag erhält, anstelle des Königs den Gral zu suchen, kommt Wolfram wieder auf Parzival zu sprechen. An einem Karfreitag traf er auf eine Reihe von Bußpilgern. Die ihn zu dem Einsiedler Trevrizent führten, bei dem Parzival, endlich reumütig und erleuchtet, eine Lebensbeichte ablegte.



Als er von Parzivals Begegnung mit dem Gralskönig erfuhr, offenbarte ihm Trevrizent, dass er der Onkel des Anfortas war – und weihte ihn in das Geheimnis und die Geschichte des Grals ein. Zudem erfuhr Parzival, dass der Gralskönig sein leiblicher Onkel, der Bruder der Herzeloyde, war.



Nach einem weiteren Exkurs über Gawan, der in Klingsors Zauberschluß gelangte und ihm entkam, beschreibt Wolfram, wie Parzival im Wald gegen seinen „heidnischen“ (muslimischen) Halbbruder Feirefeiz kämpfte und Kundrie begegnete, die den Fluch von ihm nahm. Jetzt war Parsival bereit, wieder nach Munsalvaesche zu gehen und den Gralskönig von seinem Fluch zu befreien. Als Lohn wurde er neuer Gralskönig, taufte seinen Bruder Feirefeiz in der Gralsquelle, heiratete die Tochter des Herzogs von Katelangen/Katalonien und wurde Vater eines Sohnes namens Loherangrin.



Was hat es nun mit dieser schönen Geschichte auf sich, die von Monika Gräfin Helldorf so liebevoll illustriert wurde? Hat sie einen wahren Kern? Gibt es einen Heiligen Gral? Ganze Generationen haben nach ihm gesucht, Hunderte von Gelehrten darüber gestritten, ob der Mythos einen historischen Hintergrund haben könnte. Unzählige Werke griffen seit dem Mittelalter das Motiv vom Heiligen Gral auf, von den Ritterromanen des Mittelalters über Wagners Oper Parsifal (1) bis hin zu Hollywood-Mythen wie Indiana Jones oder, leider voller dümmlicher Spekulationen und historischen Unwahrheiten – dem modernen Schundautor Dan Brown.

Nun behauptet Wolfram tatsächlich, dass sein Parsifal auf einer wahren Geschichte basierte. Er nennt als Quelle einen anderen Dichter, Guiot de Provins (1140-1210), der auch der Verfasser der Vorlage für Chretiens Werk verfasst hätte. Vermutlich hat Wolfram ihn 1184 in Mainz auf einem Tournier kennengelernt, das Kaiser Friedrich Barbarossa damals ausrichten ließ. Guiot, so versichert Wolfram, habe die Geschichte in Toledo erfahren, (2) wo sie ursprünglich in „heidnischer“=arabischer Schrift und Sprache niedergeschrieben worden sei. Das ist gut möglich, denn wir wissen aus der Widmung eines der wenigen erhaltenen Werke Guiots, seiner „Suite de la Bible“, dass er nicht nur Friedrich Barbarossa begegnete, sondern auch in Spanien war, als Alfonso II. von Aragon 1174 in Toledo Prinzessin Sancha von Kastilien heiratete. Interessanterweise erwähnt Guiot sogar Graf Philipp von Flandern, in dessen Bibliothek Chretien de Troyes den Urtext zu seinem „Perceval“ entdeckt haben will. Da Arabisch im Mozarabischen Spanien des 11. Jahrhunderts Amtssprache war, verwundert auch nicht, dass Wolfram von einem Arabischen Urtext spricht. So wurde 1049 sogar das Kirchengesetzbuch in Spanien ins Arabische übersetzt, weil die Priester diese Sprache besser beherrschten als Latein.

In vielen Details liefert Wolfram in seinem "Parzival" tatsächlich eine anschauliche Beschreibung des Lebens im mozarabischen Spanien, seiner interreligiösen Konflikte und Freundschaften, der arabischen Wissenschaften und dem höfischen Leben des europäischen Mittelalters. Er lässt auch keinen Zweifel daran, dass die Geschichte tatsächlich im Südwesten Europas des 12. Jahrhundert  Spanien spielt. Parzival stammte aus Anjou in Frankreich, sein Vater besuchte Nordafrika, Syrien, Arabien und den Orient, aber auch Salamanca in Spanien. Selbst der spanische Nationalheld Rodrogo Diaz, genannt der „Cid von Kastilien“, wird als „Cidegast“ erwähnt. 

Dabei  tadelte Wolfram den Franzosen Chretien, er habe Guiots ursprüngliche Geschichte verfälscht: 

"Ob von Troys meister Cristjan 
diesem Maere Hut unreht Getan, 
daz mac wol zürnen Kyot 
der uns diu Maere enbot rehten .. " 

Dass die Geschichte des Heiligen Grals tatsächlich ihren Ursprung in Spanien, bzw. im Pyrenäenraum hat, darauf weist schon der Begriff „Gral“ hin, der nur in den Sprachen Südfrankreichs und der iberischen Halbinsel geläufig ist und einen Sinn macht.

Wir finden ihn als "Gral", "Graal" und "Greal" sogar in Küchenlisten des 13. und 14. Jahrhundert. Immer bezeichnete er eine Schüssel, einen Mörser oder einen Kelch, kurzum: Ein mörserförmiges Trinkgefäß. (4)
Das haben sogar einige der mittelalterlichen Autoren nicht erkannt. Nur Chretien spricht von einem "Gral" im rechten Wortsinn. Wolfram beschreibt den Gral als einen "Stein", was im Mittelhochdeutsch auch für ein steinernes Trinkgefäß steht. Er beschreibt aber auch, wie am Karfreitag eine Taube eine Hostie auf den Gral legt, was eine eindeutig eucharistische Symbolik ist und ihn als besonders heiligen Meßkelch identifiziert. Erst im 15. Jahrhundert kam die abenteuerliche Etymologie auf, „San Greal“ stünde für „sang Real“, königliches Blut, was zuletzt Dan Brown zu seiner blasphemischen Lügengeschichte inspirierte.

Die Frage bleibt, ob die Grals-Saga komplett fiktiv ist oder auf einer historischen Realität im Spanien des 12. Jahrhunderts beruht.

(5) Wie wir gesehen haben, beschrieben Chretien de Troyes und Wolfram von Eschenbach den Gral als ein heiliges Gefäß, einen Kelch, auf den die heilige Eucharistie einmal im Jahr, am Karfreitag, gelegt wurde, um von dem gelähmten, kranken König Anfortas empfangen zu werden. Offenbar war er aber kein gewöhnlicher Messkelch, denn ihm wurden mystische Kräfte zugeschrieben wurden. Wolfram beschrieb ihn sogar als „Inbegriff paradiesischer Vollkommenheit, Anfang und Ende allen menschlichen Strebens: Dieser Gegenstand wurde der Gral genannt. Er übertraf alles, was man sich auf Erden wünschen könnte.“

"Es ist ein Stein von makellose Reinheit ... den einst eine Gruppe von Engeln auf der Erde zurückgelassen hat". Es heißt "Lapsit exillis", eine wunderbare Inschrift erscheint auf seiner Oberfläche. Es wird geschützt durch eine Gruppe edler Ritter, die der Autor als "Templeisen" bezeichnet. Die offensichtliche eucharistische Symbolik und der besondere Status dieses Gefäßes erklärt, weshalb ein weiterer Dichter des 12. Jahrhunderts, Robert de Boron, den Gral als Reliquie des Abendmahlskelches Jesu Christi bezeichnete.

(6) In der Tat wurde im 12. Jahrhundert ein Steinkelch in Nordspanien, in der Pyrenäenregion, in dem Kloster von San Juan de la Pena als "Calix Domini Jesu Christi" verehrt.
Dies wird bestätigt ein Dokument, datiert auf den 14. Dezember 1134, dessen Original wahrscheinlich bei einem Brand in dem Kloster verloren gegangen ist, das aber durch den Magistrat und Domherrn der Kathedrale von Saragossa, Don Juan Agustin Carreras Ramirez y Orta in seinem Buch "Flores Lauretanas del pensil oscense y Vida de San Laurencio Martir " geschrieben im Jahr 1698, zitiert wird: 

"En un Arca de esta el Marfil Calces en que Christo Nuestro Senor consagro su Sangre el qual embio San Lorenzo a su patria Huesca. " 
"In einer Elfenbeintruhe ist der Kelch, in dem Christus, unser Herr, sein Blut geweiht hat und den der hl. Lorenz in seine Heimatstadt Huesca gesandt hat. " (6a)

Die spanische National Archiv in Madrid bewahrt das Original eines weiteren wichtigen Dokumentes, datiert auf den 11. November 1135, das besagt, dass die Abtei von San Juan de la Pena König Ramiro II. "Einen Steinkelch und eine ähnlich Steinschale" ("pro illo Calice de Lapide precioso et pro uno de urceo similiter Lapide precioso ") sowie "eine goldverzierte Silberschale“ überließ. Don Juan Martinez Briz, Abt von San Juan de la Pena und Autor des 860-Seiten "Historia de la Fundacion, y Antiguedades de San Juan de la Pena "(1620) erklärte, dass der König in der Tat den Heiligen Kelch erhielt, ihn aber, „bewegt durch eine göttliche Eingebung" an das Kloster zurückgab. (6c)
Es dauerte bis 1399, dass ein anderer König, Martin "el Humano" von Aragon (1395-1410) den Heiligen Kelch von den Mönchn von San Juan de Pena erbat und in seine eigenen Kapelle im Palast Aljafería in Zaragoza bringen ließ. (7)

Von dort wurde er zunächst in den königlichen Palast in Barcelona (1410) (8) und schließlich nach Valencia gebracht (in 1416). Im Jahr 1437 wurde er den Domherrn der dortigen Kathedrale (9) anvertraut, wo er noch heute als „Santo Caliz“ verehrt wird. (10)

Von diesem Kelch heißt es in dem erwähnten Dokument von 1399, dass es „der Steinkelch ist, mit dem Unser Herr Jesus Christus bei Seinem heiligen Abendmahl Sein kostbares Blut weihte und den der hl. Laurentius, der ihn vom hl. Sixtus, dem damaligen Papst erhielt, dessen Schüler und Diakon er war, (nach Huesca) schickte und der zusammen mit seinem Brief in das Kloster von San Juan de la Pena in den Bergen von Jaca im Königreich Aragon gebracht wurde.“  Der Legende nach hat ihn der hl. Petrus nach Rom gebracht. Laurentius war ein junger Spanier aus Huesca, der nach Rom ging und dem Papst Sixtus II. (257-258) als Diakon diente. Während der Christenverfolgung des Kaisers Valerian wurde der Papst ermordet und Laurentius gefangen genommen. Man gab ihm drei Tage Zeit, die Schätze der Kirche dem Kaiser auszuhändigen. Doch es gelang ihm, seinen Kerkermeister Hippolytus zu bekehren. Am dritten Tag versuchten es die Römer mit der Folter und banden ihn auf einen glühenden Grill. Der Tradition nach wurde die Reliquie im 8. Jahrhundert, als die Mauren Spanien überrannten, in den Bergen versteckt und im 10. Jahrhundert dem Benediktinerkloster San Juan de la Pena übergeben, das dem Papst direkt unterstand. Ob er wirklich der Kelch vom Letzten Abendmahl war wird freilich nie zu klären sein, obwohl wir vom Stein und seiner Form her sagen können, dass er in hellenistischer Zeit vor Christus wohl in Antiochia entstand und dass Juden für ihre Paschafeiern Steinkelche benutzten, da Stein als koscher (kultisch rein) galt.
Tatsache aber ist, dass im 12. Jahrhundert, der Zeit, als Guiot de Provins die Gralssage schrieb, in Spanien ein Steinkelch als der Kelch des Letzten Abendmahls verehrt wurde. Und in der Tat gibt es eine Reihe von Hinweisen darauf, dass die historischen Umstände seiner Verehrung ihn zu einem hohen Grad inspirierten (11).

Wenn wir die Beschreibung der Gralsburg bei Chretien und Wolfram mit der topographischen und architektonischen Situation in San Juan de la Pena vergleichen, dann passen sie genau überein.
Chretien beschreibt die Gralsburg inmitten einer wilden, bergigen, felsigen, waldreichen Landschaft. (12)
Sein Perceval kam zu einem Fluss, ritt von dort ein Tal hoch „in der Nähe von Fluss und Wald“, um dann auf einen mächtigen, gut gebauten Turm zu stoßen. (13) Bei Wolfram kommt Parzival von oben, von einem kleinen See und reitet herab, der Anweisung folgend: „wendet Euch am Fuße jenes Felsens nach rechts“. Beide Beschreibungen entsprechen passen zu dem alten Pilgerweg nach San Juan de la Pena. Der See ist heute ausgetrocknet, die Klosterburg liegt tatsächlich vor einer Felswand. (13a, b c 14)

Selbst der Name Munsalvaesche trifft zu. San Juan de la Pena liegt zu Füßen des 1547 Meter hohen „Pico de San Salvador“, genannt Mons Salvatoris in lat .Urkunden oder, in der okzitanischen Landessprache Aragons, Mont Sant Salvatge. In alten Zeiten war das Kloster zudem von kleinen Einsiedeleien umgeben, wie es Wolfram beschreibt. (15)

Als er eintrat, folgte Chretiens Perceval den Dienern in einen „quadratischen Saal, er war nämlich ebenso lang wie breit ... zwischen vier Säulen brannte lichterloh ein gewaltiges Feuer ... die Säulen waren sehr stark“. Bei Wolfram finden wir ein weiteres Detail: „Im Saal standen drei viereckige Marmorkamine“. Tatsächlich tritt man in San Juan de la Pena durch das Tor in den „Sala de los Concilio“, ein mächtiges Gewölbe mit vier zentralen Säulen und drei Bögen dazwischen. (16)

Bei beiden trat jetzt die Prozession mit dem Gral durch eine Tür „an der Stirnseite“ in den Saal. Dort befindet sich in San Juan de la Pena eine Doppelkapelle mit zwei Altären, geschmückt mit Fresken der Kreuzigung und der heiligen Ärzte Cosmas und Damian. (17, 18, 19)

In einer Nische wurde wohl einst der Gral verehrt. Hier entspringt auch eine Quelle, von der bei Wolfram die Rede ist; mit ihrem Wasser taufte Parzival seinen Bruder.

Wenn die Prozession den Raum durchquerte, dann wollte sie wohl zu der Treppe, die am anderen Ende des Saales in den ersten Stock führt. Dort befindet sich die Basilika des Klosters, in der wohl am Gründonnerstag oder Karfreitag der Gral zur öffentlichen Verehrung dargeboten wurde. (20)

Selbst die Silberplatte, auf der man ihn trug und die Chretien erwähnt, wird in dem Dokument von 1135 aufgelistet. (21)

Doch nicht nur, dass wir die Gralsburg in San Juan de la Pena erkennen, auch die Protagonisten des Parzival scheinen historische Vorbilder zu haben. (22)

Laut Brit Martinez, Abt von San Juan de la Pena, gab es einen König im 12. Jh., der den hl. Kelch ganz besonders verehrte, Alfonso I. von Aragon (1104-34), genannt „el Batellador“. Er war ein archetypischer Kreuzfahrerkönig, der gegen die Ungläubigen kämpfte, die Spanien seit dem 8. Jh. besetzt hatten. Einmal im Jahr, zur Fastenzeit, zog er sich nach San Juan zurück, um sich auf Ostern vorzubereiten. Aus dieser Zeit der Busse und des Gebets gewann er die Kraft für seine Feldzüge. Die „Geschichte von San Juan de la Pena“, die Don Brit im 17. Jh verfasste, führt auf 5 Seiten die zahlreichen Schenkungen des Königs an „sein“ Kloster auf, das er unter seinen pers. Schutz gestellt hat, die meisten in der Fastenzeit „als Buße für seine Sünden“. Alfonso war aber auch ein Förderer des jungen Templerordens, dem er ein Drittel seines Vermögens vererbte. So umgab er sich mit Templern. Das mag erklären, weshalb Wolfram die Gralsritter als „Templeisen“ bezeichnete, dem okzitanischen Namen der Templer. Alfonso selbst hieß „Anforts“ in der okzitanischen Landessprache Aragons, latinisiert „Anfortius“. Offenbar war er der Gralskönig „Anfortas“ bei Wolfram. Wie der Anfortas der Sage, so wurde auch der historische Anforts/Alfonso I. in der Schlacht von Fraga 1134 mit einem wohl vergifteten Speer tödlich verletzt, bevor man ihn nach San Juan de la Pena brachte, wo er sieben Wochen später verstarb. Nur im Volksglauben lebte er weiter, hielten sich (ähnlich wie bei Barbarossa) Gerüchte, er würde noch immer leben und eines Tages wiederkommen. So entstand die Legende vom siechenden König Anforts, der, bewacht von Templeisen/Templern, in Gegenwart des Grals auf Erlösung harrt. Bei der Person des Parzival, dem Helden der ersten Gralsepen, könnte es sich einen Cousin und Kampfgefährten des Königs, den französischen Grafen Rotrou Perche de Val (span: „Conde de Valperche“), gehandelt haben. Stammte er bei Wolfram aus Anjou, so war Perche die benachbarte Grafschaft. Auch Rotrous Farben waren rot, auch sein vater starb, als er noch klein war, auf einem Kreuzzug, auch er wurde von seiner Mutter großgezogen, bevor er an der Seite seines Onkels kämpfte.

Dass die Gralssage ursprünglich aus Spanien stammt, stellt auch Wolfram von Eschenbach im „Parzival“ ausdrücklich fest. Danach brachte der Troubadour Guiot de Provins sie aus Toledo mit. Tatsächlich besuchte Guiot den Hof von König Alfonso II. von Aragon, als dieser 1174 heiratete. Damals bereitete der König einen neuen Feldzug gegen die Mauren vor. Seinem Großvater hatte der Papst für seinen Maurenfeldzug die Privilegien und Ablässe eines Kreuzzugs gewährt. Auch Alfonso II. hoffte auf den Segen des Papstes. Zudem wollte er die besten europäischen Ritter dafür gewinnen, an seiner Seite zu kämpfen. Dazu brauchte er einen Mythos. Wer am Jerusalem-Kreuzzug teilnahm, kämpfte für das Heilige Grab. Die Botschaft des Grals-Mythos war: Noch ehrenvoller als der Kreuzzug zur Befreiung des leeren Grabes ist der Dienst im Zeichen des Heiligen Grals, des Symbols für die Eucharistie, in der Christus lebendig ist. So verband Guiot die Gralsgeschichte mit dem Artusmythos; die Ritter der Tafelrunde waren die großen Vorbilder des mittelalterlichen Rittertums, ihnen sollten die europäischen Fürsten folgen.
Auch wenn sich der Gralsmythos bald „verselbständigte“, so blieb doch sein Kern erhalten: Er wurde zum Symbol für die Suche des Menschen nach dem Ewigen, nach Gott, und damit zur Metapher für die höchsten Ziele und Ideale des christlichen Europas. Nach dem Gral zu suchen heißt, das Geheimnis der heiligen Eucharistie zu ergründen. Verheißt der Gral ewiges Leben, erfüllt das allerheiligste Sakrament das Versprechen Christi: „Wer dieses Brot isst, der wird leben in Ewigkeit“ (Joh 6,59).

(23) Doch ist der Santo Caliz, der heute in Spanien verehrt wird, in der Tat der sagenhafte HeiligeGral, den die mittelalterlichen Mythen und Ritterromane beschrieben? Offensichtlich vereint er in sich Details aus den Beschreibungen Chretiens und Wolframs, ist er doch ein Steingefäß mit einem zweihenkligen Goldrahmen, bedeckt mit Perlen und Edelsteinen. (24, 25) Chretien schreibt, er habe „eine so strahlende Helligkeit verbreitet, dass die Kerzen ihren Glanz verloren, ebenso wie es die Sterne oder der Mond tun, wenn sich die Sonne erhebt“, während Wolfram ihn als „lapis ex stellis“, als Stein von den Sternen oder Sternenstein bezeichnet, den Engel auf die Erde brachten. (26)

All dies mögen Versuche sein, die rotgelben Muster des durchscheinenden Achats zu erklären, die im Licht wie Flammen wirken. Doch Wolfram erwähnt auch eine mysteriöse Inschrift des Grals:
"Ze ende ein des Steines drum
von karacten ein epitafum 
Sagt sinen namen und sinen art " 

("An der Oberseite des Steines befindet sich eine Inschrift, die seinen Namen und Charakter verrät"). (27)



Tatsächlich ist auf der Oberseite des Fußes des Santo Caliz eine geheimnisvolle Inschrift eingraviert. Es gab mehrere Versuche, sie zu deuten, alle wenig erfolgreich, bis sich der deutsche Arabist Prof. Hans-Wilhelm Schäfer, ihrer annahm. Er identifizierte die Buchstaben nicht nur als kufisch, also früharabisch, sondern war auch in der Lage, sie zu transkribieren. Sie ergibt die Worte

AL-ABSIT SILIS,

was im Arabischen keinen Sinn ergibt, sondern nur als Transkription des Lateinischen Lapsit exillis, ebenjenes Wortes, das wir bei Wolfram finden, wenn er vom Gral schreibt: „er heizet Lapsit exillis“ – lapis ex stellis, Stein von den Sternen, von den Engeln zur Erde gebracht.
Das wir diese Inschrift, die Wolfram von Eschenbach ausdrücklich erwähnt, auf dem Santo Caliz finden, lässt keinen Zweifel mehr daran, dass wir das Gralsrätsel gelöst haben. Der Heilige Gral ist der Santo Caliz von Valencia. So wurde die Reliquie Dank seines Werkes zur Metapher für das höchsten Ideale des christlichen Europas, die Suche nach dem ewigen Leben, das Jesus von Nazareth denen in der Synagoge von Kafarnaum versprach, die von seinem Leib und Blut essen. Das Geheimnis des Grals ist das Geheimnis unseres christlichen Glaubens. Er führt uns tief in das Herz und die Seele des christlichen Europas. (31, 32, 33)

So ist es ein schönes Symbol, dass der bayerische Papst, Benedikt XVI, bei seinem Besuch in Valencia 2006 zum Welttreffen der Familien nach einem Besuch in der Gralskapelle der Kathedrale ausdrücklich wünschte, mit dem Santo Caliz, dem Heiligen Gral zu konsekrieren. Auch er hat damit das Geheimnis des Grals erkannt und den Weg zu unserer Erlösung gewiesen.