Michael Hesemann, Historiker und Autor
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Der Vatikan und die Auschwitz-Massaker


Ergänzung zu "Der Papst und der Holocaust", S. 309/310

Am 25. September 1944 erfuhr der Vatikan durch den polnischen Exilbotschafter Casimir Papée von Gerüchten, nach denen die Nazis die 45.000 Insassen des KZs Auschwitz massakrieren wollten.[1] Dabei war unklar, ob damit das Stammlager Auschwitz I, in dem primär polnische politische Gefangene interniert waren, oder das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau gemeint war. Jedenfalls bat Msgr. Tardini gleich am nächsten Tag den Nuntius in Berlin, Cesare Orsenigo, „auf jene Weise, die ihnen am wirkungsvollsten erscheint“, zu intervenieren.[2] Als fünf Tage später der Apostolische Delegat in Washington D.C., Msgr. Cicognani, die Bitten „diverser Rabbiner und jüdischer Hilfskomitees“ übermittelte, die Auschwitz-Insassen, „Juden wie Christen“, zu retten, da diese „in unmittelbarer Todesgefahr“ stünden[3], hatte man bereits gehandelt. Am 9. Oktober präzisierte Cicognani sein Hilfegesuch; es seien auch die Insassen des Konzentrationslagers „Birchenau Hoss“ gemeint[4], also von Auschwitz-Birkenau, das allerdings nur bis November 1943 unter Leitung von Obersturmbannführer Rudolf Höß stand. Auch Papée hakte nach und schrieb am 12. Oktober an das vatikanische Staatssekretariat: „Nach Informationen, deren Richtigkeit leider nicht bezweifelt werden kann, existiert ein Plan, die Konzentrationslager für Zivilisten (wie Auschwitz und Brzezinka) zu zerstören. Durch diese Zerstörung sollen alle Spuren der dort begangenen Gräueltaten beseitigt werden. Die Insassen – zehntausende Männer und Frauen – würden vorher getötet und ihre Leichen verbrannt.“[5] Einen Tag später traf endlich eine Antwort aus Berlin ein. Nuntius Orsenigo hatte beim Auswärtigen Amt in der Wilhelmstraße vorgesprochen, wo man ihm „versicherte, diese Berichte seien Feindpropaganda und (zum Beweis) auf die Gefangenen der Lager verwies, die vom Internationalen Roten Kreuz besucht werden durften. Selbst wenn diese Auskunft des Außenministeriums ehrlich wäre, schließt das nicht aus, dass die berüchtigten SS-Einheiten geheime Anweisungen ganz anderen Inhalts erhielten.“[6] Darauf antwortete Tardini am 19. Oktober, Orsenigo solle bitte in Erfahrung bringen, wann das Konzentrationslager „Birchenau Hoss“ das letzte Mal vom Roten Kreuz aufgesucht wurde.[7]
Doch darauf gab man ihm in der Wilhelmstrasse keine Antwort. So dauerte es bis Januar 1945, dass der Name „Auschwitz“ erneut in den Vatikanakten erschien. Zu diesem Zeitpunkt war die Rote Armee bereits in Schlesien einmarschiert, während sich die Deutschen auf dem Rückzug befanden. Noch am 25. Januar 1945 telegraphierte Msgr. Tardini an den Nuntius Orsenigo, er solle bitte dringendst intervenieren, um zu verhindern, dass „die deutschen Truppen bei ihrem Rückzug die Insassen des Lagers Auschwitz massakrieren.“[8] Diese Demarche war nicht mehr nötig; nur zwei Tage später wurden das KZ Auschwitz und das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau von den Russen befreit.
 
[1] Papée an Staatssekretariat, 25.9.1944, AA.EE.SS. 5892/44, zit. n. ADSS X, Nr. 330 (Fußnote), S. 423
[2] Tardini an Orsenigo, 26.9.1944, AA.EE.SS. 5892/44, zit. n. ADSS X, Nr. 330, S. 423
[3] Cicognani an Staatssekretariat, 30.9.1944, AA.EE.SS.6180/44, zit. n. ADSS X. Nr. 333, S. 426
[4] Cicognani an Staatssekretariat, 9.10.1944, AA.EE.SS. 6282/44, zit. n. ADSS X, Nr. 343, S. 34 f.
[5] Papée an Staatssekretariat, 12.10.1944, AA.EE.SS. 6283/44, zit. n. ADSS X, Nr. 351, S. 441 f.
[6] Orsenigo an Staatssekretariat, 13.10.1944, AA.EE.SS. 6300/44, zit. n. ADSS X, Nr. 354, S. 444
[7] Tardini an Orsenigo, 19.10.1944, AA.EE.SS. 6300/44, zit. n. ADSS X, Nr. 360, S. 448
[8] Tardini an Orsenigo, 25.1.1945, AA.EE.SS.545/45, zit. n. ADSS X, Nr. 439, S. 532