Am Sonntag, dem 24. November 2013 wurden in Rom erstmals die Reliquien des Apostelfürsten Petrus öffentlich ausgestellt. Der Historiker und Autor Michael Hesemann („Der erste Papst“) schildert die Geschichte ihrer Entdeckung – und geht der Frage nach ihrer Echtheit auf den Grund
Die Geschichte einer der spektakulärsten archäologischen Entdeckungen der Neuzeit begann praktisch am Vorabend des Zweiten Weltkriegs. Papst Pius XI. war gestorben und sein Nachfolger, Pius XII., wollte ihn würdig in den vatikanischen Grotten, dem Gewölbe unter dem Petersdom, bestatten lassen. Um den Entwurf des Architekten für die Grabstätte des Pontifex zu realisieren, war es notwendig, das Bodenniveau an seiner Stelle um einen Meter zu senken, um Höhe zu schaffen. So wurde der Marmorboden entfernt und mit den Ausschachtungen begonnen. Dabei stießen die Arbeiter auf eine Ziegelmauer, die in unbekannte Tiefe reichte. Prälat Ludwig Kaas, ein deutscher Priester und Politiker der „Zentrums“-Partei, der vor den Nazis geflohen war und den der spätere Papst Pius XII. zum Leiter der „Bauhütte von St. Peter“ (Fabbrica di San Pietro) ernannt hatte, wurde geholt und inspizierte den Fund. Zunächst glaubte er, auf eine Mauer des „Zirkus von Caligula und Nero“ gestoßen zu sein, der sich im 1. Jahrhundert zu Füßen des vatikanischen Hügels erstreckte. In ihm hatten die ersten Christen unter Kaiser Nero ihr Martyrium erlitten, hier wurde der Legende nach auch der hl. Petrus gekreuzigt.
Doch bald zeigte sich, dass die Mauer keineswegs zu einem antiken Zirkus gehört haben konnte. Ihre Innenseite war mit bemaltem Stuck verziert. Je weiter man grub, desto deutlicher wurde, dass sie Teil eines kleinen, quadratischen Gebäudes war, dessen Dach einst abgetragen worden war. Doch erst als die Arbeiter auf eine Reihe von rot bemalten, säulengesäumten Nischen stießen, in denen Urnen standen, stand fest, dass es einst eine Grabkammer gewesen sein muss. Ein reich geschmückter Sarkophag in ihrem Zentrum enthielt einst die Leiche einer jungen Frau namens Gorgonia. Dass eine Inschrift ihr wünschte, dass sie „in Frieden schlafe“ (dormit in pace), verriet, dass sie Christin war; bei den heidnischen Römern war diese Formulierung, der Vorgänger unseres „requiescat in pace“, absolut ungebräuchlich.
Sofort informierte Kaas den Papst über den Fund. Am Vorabend des Festes Peter und Paul, am 28. Juni 1940, besichtigte Pius XII. persönlich das „Mausoleum des Marcus Caetennius Antigonus“, wie es fortan genannt wurde. Kaas überzeugte ihn schnell, dass römische Mausoleen selten isoliert standen, man unter den vatikanischen Grotten noch weitere Gräber vermuten könnte. Dadurch gewann die Tradition, dass sich unter dem Petersdom tatsächlich das Grab des Apostelfürsten befand, an Glaubwürdigkeit. Um dieser Möglichkeit nachzugehen war der Papst bereit, jedes Risiko einzugehen. So gab er Kaas die Anweisung, mit einer systematischen archäologischen Ausgrabung zu beginnen.
Bald hatte der Prälat ein Team verschwiegener Experten aus den Reihen des Päpstlichen Institutes für Christliche Archäologie, dem Architekten des Vatikans und Arbeitern der Bauhütte von St. Peter, den sogenannten Sanpietrini, zusammengestellt, die sich ehrenamtlich und neben ihrer eigentlichen Tätigkeit ans Werk machten. Dabei waren die Bedingungen alles andere als optimal. Draußen tobte der Krieg, die Mittel waren knapp. Strengste Geheimhaltung war geboten, um Spekulationen und übersteigerte Erwartungen zu vermeiden. Was im Team leider fehlte, war ein professioneller Archäologe mit Ausgrabungserfahrung. So führte niemand ein Tagebuch über den täglichen Stand der Dinge und auch Fotos wurden kaum gemacht.
EINE ANTIKE TOTENSTADT UNTER DEM PETERSDOM
Dabei waren schon die ersten Funde geradezu sensationell. Bis Anfang 1941 hatte man fünf weitere Gräber freigelegt, die mit bunten Blumenmustern und feinen Stuckarbeiten sowie filigranen Deckenmalereien ausgeschmückt waren. Zwei Monate später stieß man auf das Grab des Gaius Valerius Herma, eines reichen Freigelassenen, das in das zweite Jahrhundert datiert werden konnte. In seinen stuckverzierten Wänden befand sich ein Dutzend hoher Nischen, in denen fast lebensgroße Stuckfiguren heidnischer Götter, aber auch seiner Familienangehörigen aufgestellt waren. Im 3. Jahrhundert schien sich die Familie dann dem Christentum zugewandt zu haben. So waren die jüngsten Sarkophage in der Grabkammer bereits mit dem Christusmonogramm geschmückt. Eine simple, unbeholfene Kohlezeichnung zeigte Christus und davor einen bärtigen Mann. Darunter war eine lateinische Inschrift gekritzelt, von der nur noch die ersten Worte lesbar waren: „Petrus, bete (zu) Christus Jesus für die heiligen…“ Sie war der erste Hinweis auf eine Petrusverehrung in dieser antiken Totenstadt und musste aus dem frühen 4. Jahrhundert stammen; vielleicht war sie auch älter.
Blick in die Scavi
Die nächsten Monate enthüllten das Ausmaß der antiken Nekrople unter dem Petersdom. Mindestens 22 Grabhäuser lagen zu beiden Seiten einer schmalen Straße von etwa 70 Metern Länge. Wahrscheinlich reichte sie ursprünglich noch weiter, erstreckte sich über die gesamte Länge des Petersdomes bis über den heutigen Petersplatz hinaus. Es war ein ursprünglicher heidnischer Friedhof, in dem allmählich auch Christen bestattet wurden. Zwar stammten die ältesten Gräber erst aus dem 2. Jahrhundert, doch trotzdem sprach ein gewichtiges Argument für die Tradition. Um die alte Peterskirche, den Vorgänger des Petersdomes, zu bauen, hatte Kaiser Konstantin der Große eigens am abfallenden Hang des vatikanischen Hügels eine künstliche Plattform anlegen lassen. An seinem Fuß ließ er eine hohe, starke Mauer errichten, den Zwischenraum mit Erdreich auffüllen. Zwischenmauern von jeweils zwei Metern Stärke schwächten den Druck ab. Über 100.000 Kubikmeter Erdreich waren zu diesem Zweck transportiert worden, meist in Körben auf den Rücken tausender Staatssklaven. Das allein macht die Errichtung der alten Peterkirche zu einem der monumentalsten Bauvorhaben der Antike. Dabei hatte Konstantin gegen ein Tabu verstoßen. Denn die Gräber ihrer Ahnen waren den Römern heilig. Nur der Kaiser selbst konnte erlauben, ein Grab zu verlegen; jedem anderen, der die Totenruhe störte, drohte die Todesstrafe. Um über der Totenstadt eine Basilika zu erreichten, mussten Konstantins Architekten geschickt vorgehen. Bei größeren Mausoleen wurden die Dächer entfernt, ihre Räume mit Erde aufgefüllt. War ein Mausoleum zu groß, wurde es durch eine Stützwand geteilt. So entstand ein stützendes Netzwerk, das das Gemäuer stabilisierte. Doch all dieser Aufwand auf ungünstigem Terrain, verbunden mit immensen Kosten und der Verletzung eines religiösen Tabus, ließ sich nur dann rechtfertigen, wenn die Tradition eindeutig war. Konstantin muss sich absolut sicher gewesen sein, dass sich dort, wo er baute, das authentische Apostelgrab befand.
Die Nekropole unter dem Petersdom - Querschnitt und Plan
Bislang freilich hatten die Ausgräber in der falschen Richtung gesucht. In der zweiten Phase der Grabung wollten sie sich ganz auf den Bereich zwischen dem Valerius-Mausoleum und der Confessio konzentrieren, der Anlage vor und unter dem Papstaltar, wo die Tradition das Petrusgrab lokalisierte. Der Papst, der fasziniert den Verlauf der Ausgrabungen verfolgte, erteilte auch dazu seine Erlaubnis.
DIE ENTDECKUNG DES PETRUSGRABES
Wieder folgte eine Reihe spektakulärer Funde. Die nächste Grabkammer, in die man vordrang, war mit einer Mosaikdecke geschmückt, deren Motive sämtlich aus der Bibel stammten. Sie zeigten Jonas, der dem Walfisch entstieg und Fischer, die ihre Netze auswarfen. Überragt wurde das Mausoleum von einer Darstellung Christi als Sonnenheros, die aus der Mitte des 3. Jahrhunderts stammt. Gleich neben ihm stießen die Archäologen auf die bislang älteste Grabkammer. Eine Silbermünze des Kaisers Trajan (98-117) verriet, dass sie im späten 1. Jahrhundert schon in Gebrauch, wahrscheinlich aber noch früher errichtet worden war. Damit waren die Ausgräber dem Todesjahr Petri (64 oder 67 n.Chr.) schon deutlich näher gekommen.
Das Mosaik des Christus als Sol Invictus
Da man sich bereits in unmittelbarer Nähe der Confessio befand, beschloss Kaas, sich von zwei Seiten der traditionellen Stätte des Petrusgrabes zu nähern. Während ein Stollen dem Verlauf der Gräberstraße folgte, ließ er einen zweiten von der Cappella Clementina aus anlegen, einem kleinen, prunkvoll ausgestatteten Heiligtum, das sich von Süden her unterirdisch dem Papstaltar näherte. Hinter ihrem Altar befand sich eine Marmorwand, deren oberer Teil aus der Zeit Clemens VII. (1592-1605) stammt, ihr größerer unterer Teil aber bereits zur Zeit Gregors des Großen (590-604) errichtet worden war. Als man sie aufbrach, kam eine weiße Marmorverkleidung aus zwei großen Platten zum Vorschein, zwischen denen eine senkrechte Porphyrleiste verlief; sie stammte aus der Zeit Konstantins des Großen. Der Porphyr allein sprach schon für die Bedeutung des Ortes, denn er durfte nur für Gräber hochstehender Persönlichkeiten benutzt werden. Sie grenzte an eine Mauer aus dem 2. Jahrhundert, die man wegen der Farbe ihres Putzes „Rote Mauer“ nannte. Dass der Kaiser diese Mauer so kostbar verkleiden ließ, deutet auf ihre Verehrung im frühen 4. Jahrhundert hin. Gehörte sie zum Petrusgrab?
Sofort musste Kaas an das früheste Zeugnis der Verehrung des Apostelgrabes am Hang des vatikanischen Hügels denken, das uns überliefert ist. In seinem Brief an einen kleinasiatischen Christen erklärte der Priester Gaius, der zur Zeit des Papstes Zephyrinus (199-217) lebte: „Ich kann dir die Grabmäler der Apostel zeigen. Denn wenn du zum Vatikan gehen willst oder auf die Straße nach Ostia, so wirst du dort die Grabmäler derer finden, die die römische Kirche begründet haben.“ Im griechischen Originaltext benutzt Gaius den Begriff „Tropaion“, der auch „Siegeszeichen“ bedeutet: ein Denkmal für den ersten Papst, der die „Siegeskrone“ des Martyriums erlangte.
Die „Rote Mauer“ hatte eine Nische, die sich nach Osten hin öffnete. Über ihr befand sich eine glatt verputzte kleine Öffnung, die ein Fenster gewesen sein könnte. Unterhalb der Nische erstreckte sich eine Platte aus Travertin, die rückwärts in die Rote Mauer stieß. Vor ihr befindet sich heute die „Palliennische“ direkt unter dem Papstaltar. Hier werden in einem Schrein die Pallien verwahrt, die einmal im Jahr, zu Peter & Paul, vom Papst den neu ernannten Metropolitanerzbischöfen überreicht werden, als Symbol ihrer besonderen Bindung an Rom und den Nachfolger Petri.
Zu beiden Seiten säumten Mäuerchen die Kultnische, die vor zwei zierlichen Marmorsäulen endeten, die einst die Travertinplatte trugen. Zusammen bildeten sie eine Aedicula, wie man sie aus anderen römischen Gräbern kannte. Bei diesem Arrangement konnte es sich nur um das Tropaion des Gaius handeln, das Grabmonument Petri.
Das Grabfeld mit der Aedicula des hl. Petrus
Mit gespannten Erwartungen nahmen sich die Ausgräber daraufhin die Nordseite des Grabbaues vor. Kaum hatten sie die konstantinische Verkleidung entfernt, stießen sie auch hier auf eine Mauer, die 90 Zentimeter lang und 45 Zentimeter breit war. Sie war mit feinem Stuck in hellblauen, roten und gelben Streifen bedeckt, was darauf schließen ließ, dass sie keine Außenmauer war, sondern zu einem Innenraum gehörte, vielleicht zu einem kleinen Gebetsraum. In ihren Putz waren Hunderte Inschriften gekritzelt, die Graffiti frühchristlicher Pilger. Meist waren es Namen, die sich rücksichtslos übereinander lagerten und einander unlesbar machten, manchmal ergänzt durch den Zusatz „vivas in Christo“ (Du lebst in Christus), weil es sich um Verstorbene handelte. Dazwischen immer wieder das Christogramm, das IS oder IHS für Ihsous und ein ganzes Sammelsurium frühchristlicher Codes, die erst ein Jahrzehnt später von der römischen Epigrafikerin Dr. Margherita Guarducci dechiffriert werden konnten: A für Anfang (alpha), E für Eden, F für Sohn (filius), L für Licht (lux), N für Sieg (griech.: nika), P für Frieden (pax), R für Auferstehung (resurrectio), S für Heil (salus), T für das Kreuz und V für Leben (vita), aber auch das M und MA Mariens als Beleg für eine frühe Verehrung der Gottesmutter. Der Name des Apostelfürsten war durch die Buchstaben PE abgekürzt, die in Form eines Schlüssels ein „Petrogramm“ bildeten, wie Guarducci es nannte. All das ließ keinen Zweifel daran, welch große Verehrung die Christen der Frühzeit diesem Ort entgegenbrachten, an dem sie für ihre Toten beteten und neben Jesus und Maria auch den heiligen Petrus anriefen.
Die Graffiti-Mauer (mura g) Dr. Margherita Guarducci
Am unteren Ende der Graffitimauer (kurz „Mauer g“ genannt) erwartete die Ausgräber die nächste Überraschung. Bei den Grabungsarbeiten hatte sich ein Teil des Putzes gelöst, der den Blick in eine schlitzförmige Öffnung erlaubte. Als Kaas mit seiner Taschenlampe hineinleuchtete, erkannte er, dass sich hinter ihr ein Hohlraum verbarg, der ringsherum mit Marmorplatten ausgelegt war. Doch bevor man ihn öffnete und damit einen Teil des mit Graffiti bedeckten Putzes zerstörte, wollte man abwarten, bis ein Epigraphik-Experte die Inschriften begutachtet hatte. Erst danach hämmerten die Sanpietrini Stück für Stück den antiken Putz weg und legten den Marmorschrein frei.
Doch seinem Inhalt schenkte zu diesem Zeitpunkt noch niemand Beachtung, vermutete man doch das Petrusgrab direkt unter der Travertinplatte, zu Füßen der aedicula. Dort fanden die Ausgräber zwei Reihen schwellenartiger Ziegelgemäuer, deren Giebeldach einst bis in die Rote Mauer hineinreichte. So sahen im 1. Jahrhundert die Gräber der Armen aus. Votivgaben deuteten darauf hin, dass hier Pilger das Petrusgrab verehrten. Sternförmig umgeben war es von elf alten Gräbern, die man über- und untereinander rund um das „verehrte Grab“ angelegt hatte, zu dem man freilich respektvoll Abstand hielt. In einem dieser Gräber fanden sich inmitten der braungelben Überreste eines Toten Goldfäden, die auf ein hohes Amt hindeuteten. War hier einer der Päpste des 2. Jahrhundert bestattet? Ein anderes, ärmliches Grab war mit Ziegeln bedeckt, die den Stempel eines Stat. Marcius Demetrius trugen – eine Ziegelei, die zur Zeit des Kaisers Vespasian (69-79) bestand. Unwillkürlich musste Kaas an den hl. Linus (64/67-76) denken, den ersten Nachfolger Petri, der, wie es im Liber Pontificalis heißt, „neben dem Grab des hl. Petrus bestattet“ worden war? Das Mauerwerk dagegen trug den Stempel einer Ziegelei, die dem späteren Kaiser Marc Aurel und seiner Gattin Faustina gehörte; es muss zwischen 147 bis 161 n.Chr. entstanden sein, als Pius I. (140-155) und Anicetus (155-166) Päpste waren. Von Letzterem heißt es im Liber Pontificalis, er habe „das Grabmal des hl. Petrus erbaut und damit eine Bestattungsstelle für die Bischöfe vereinigt“. Doch so sensationell die Entdeckung auch war, sie hatte einen bitteren Beigeschmack: Das „verehrte Grab“ selbst war leer. Jemand muss die Gebeine des Apostelfürsten aus ihm entfernt haben.
WO WAREN DIE GEBEINE DES APOSTELFÜRSTEN?
Umso glücklicher waren die Ausgräber, als sie unter der Graffiti-Mauer auf menschliche Gebeine stießen. Sofort wurde der Papst alarmiert, der auf einem mit weißer Seide bezogenen Stuhl verfolgte, wie ein Knochen nach dem anderen aus der Erde gegraben und in eine Metallkiste gelegt wurde. Dass der Schädel fehlte, wertete man als positives Zeichen gewertet; mindestens seit dem 11. Jahrhundert werden die Schädel der Apostel Petrus und Paulus in zwei lebensgroßen Büstenreliquiaren verehrt, die über dem Papstaltar der Lateranbasilika aufgestellt sind. Pius XII. war beeindruckt und gab in seiner Weihnachtsansprache im Vorfeld des „Heiligen Jahres“ 1950 der Welt die Entdeckung bekannt. Doch er war klug genug, sich nicht festzulegen. „Das Grab des Apostelfürsten ist wiedergefunden worden“, stellte er fest, doch von den Gebeinen ließe sich „nicht mit Sicherheit nachweisen, dass sie zu den sterblichen Überresten des Apostels gehören.“ Erst 1957 konnte der renommierte Anthropologe Prof. Venerandi Correnti von der Universität Palermo nachweisen, dass sie unmöglich von Petrus stammten. Es waren die Gebeine von drei verschiedenen Personen, zweier Männer in mittlerem Alter und einer älteren Frau.
Stattdessen aber gab es eine andere Spur. In den Kisten, in denen die Sanpietrini den Inhalt der Marmornische in der Graffiti-Mauer gelagert hatten, fand einer der Ausgräber ein Fragment der Roten Mauer, das eine Inschrift trug: PETR(os) ENI, wörtlich: „Hier ist Petrus drin“. Niemand weiß, wie es dorthin gelangt war, doch es war wie ein Omen. Trotzdem bedurfte es erst einer Frau, um das Zeichen zu lesen. Als die Epigrafikerin Dr. Margherita Guarducci die Inschriften der Graffitimauer studierte, fiel ihr auch dieses Fragment in die Hände. Doch statt es achselzuckend wieder fortzulegen, wie ihre männlichen Kollegen es getan hatten, versuchte sie, seine Botschaft zu verstehen. Schließlich fragte sie die Sanpietrini, was sich in besagtem Marmorfach befand. Man habe dort Knochen gefunden, erwiderte einer der Arbeiter. Prälat Kaas habe ihn daraufhin angewiesen, die Gebeine zu bergen und das Fach auszuleeren. So sei alles in eine Holzkiste gepackt worden, der niemand weitere Beachtung schenkte. Als Guarducci sie sehen wollte, wurde sie in einen kleinen, fensterlosen Raum geführt, vollgepackt mit Kisten und Körben. Die Kiste, die der Sanpietrino herauszog, war nicht größer als eine Schuhschachtel. Sie war mit drei Worten beschriftet, ossa, urna, graf, was für „Gebeine aus der Urne in der Graffitimauer“ stand. Zum Vorschein kamen Knochen, Marmorsplitter, kleinere Bröckchen roten Putzes und winzige Stoffreste mit Goldfäden.
PAUL VI. BESTÄTIGT PETRUSRELIQUIEN
Als die Gebeine auf Initiative von Frau Guarducci ebenfalls Prof. Correnti vorgelegt wurden, war die Sensation komplett. Die 135 Knochenfragmente, die in der Nische der Graffitimauer gefunden worden waren, stammten von einem einzigen Menschen, der einst in der Erde bestattet worden war; sie waren teils noch mit Erdreich verkrustet. Eine petrographische Analyse ergab, dass es sich dabei um die gleiche Erde wie im leeren Petrusgrab handelte. Einzige Fremdkörper waren vereinzelte Tierknochen, die noch aus der Zeit stammten, als das Gelände landwirtschaftlich genutzt worden war. Der Tote wurde also vor der Entstehung der Nekropole im späten 1. Jahrhundert hier bestattet.
Einige Knochen wiesen rötliche Farbflecken auf und waren offenbar einst in ein rotes Tuch gehüllt. Das passte zu den Stofffragmenten und Goldfäden, die man ebenfalls aus dem Marmorfach barg. Eine chemische Analyse ergab, dass die Fäden aus echtem Gold bestanden, das Rot des Stoffes von der echten Purpurschnecke. Purpurne, goldgefärbte Gewänder standen allein den Senatoren und dem Kaiser zu. Der Tote, einst bescheiden bestattet, muss später also von einem Kaiser verehrt worden sein, ganz wie Petrus durch Konstantin den Großen.
Tatsächlich spricht auch der anthropologische Befund für die Identifikation des Toten mit dem Apostel. Wie Prof. Correntis in seinem Bericht feststelle war er „von deutlich robustem Körperbau“, leicht überdurchschnittliche 1,66 groß und im Alter von 60 bis 70 Jahren verstorben. Auffallend war, dass man von allen Skelettteilen Fragmente fand, mit Ausnahme der Füße. Das passt zu der Tradition, nach der Petrus kopfüber gekreuzigt wurde. Dazu müssten die Henker seine Füße mit kräftigen Nägeln an den Kreuzesstamm geschlagen haben. Bei der Abnahme des Leichnams war man wohl nicht zimperlich, musste ein kräftiger Schwerthieb reichen, um ihn vom Holz zu lösen.
Als Papst Paul VI. über die Ergebnisse der Untersuchung informiert wurde, beauftragte er Dr. Guarducci mit ihrer wissenschaftlichen Veröffentlichung. So erschien ihr Buch „Le Reliquie di Pietro sotto la Confessione delle Basilica Vaticana“ 1965 im Verlag der Libreria Editrice Vaticana, versehen mit dem Siegel der Fabbrica di S. Pietro. Ihre Schlußfolgerung: Das einfache Ziegelgrab unter der Roten Mauer war tatsächlich das ursprüngliche Grab Petri, das rund 90 Jahre nach seinem Martyrium von den römischen Christen in eine würdige Gedenkstätte integriert wurde. Die im 3. Jahrhundert zusätzlich errichtete Graffiti-Mauer zeigt, dass es zu diesem Zeitpunkt längst zum Pilgerziel geworden war.
Nach wie vor ungeklärt ist der Grund für die Überführung der Gebeine in die Marmornische. Hatte man sie während einer Christenverfolgung sichergestellt, um die Schändung des Apostelgrabes zu verhindern? Oder waren es praktische Gründe, die jährliche Überflutung des Geländes etwa, die zu ihrer Verlegung führten? Tatsache jedenfalls ist, dass noch den Architekten Konstantins ihre Position bekannt gewesen sein muss. Ihr marmorverkleidetes Grabmonument ist jedenfalls nicht auf die einstige aedicula-Nische zentriert, sondern umfasst beides: das ursprüngliche Apostelgrab und die Graffiti-Mauer mit der Gebeinnische.
Doch so eindeutig der Befund, so heftig war der Gegenwind, auf den Guarduccis Publikation bald stieß. Zu peinlich erschien die Tatsache, dass die echten Apostelreliquien zehn Jahre lang unbeachtet in einem Lagerraum ruhten, zu unerhört, dass ausgerechnet eine Frau ihnen auf die Spur gekommen war. Selbst als die Professorin eine eidesstattliche Erklärung des verantwortlichen Sanpietrino vorlegte, glaubte man ihr nicht. Nur der Papst unterstützte sie und ermutigte sie, ihre Arbeit fortzusetzen. So antwortete sie 1967 in einem weiteren Werk, „Una messa a punto“ („Eine Richtigstellung“) auf ihre Kritiker – und überzeugte auch Paul VI. Auf seiner wöchentlichen Generalaudienz vor dem Fest St. Peter & Paul, am 26. Juni 1968, teilte er der Welt mit: „Auch die Reliquien des heiligen Petrus sind identifiziert worden, und zwar in einer Weise, die wir für überzeugend halten.“
Gleich am nächsten Tag brachte man die Petrus-Gebeine, die bislang in den Räumen der Fabbrica gelagert wurden, auf Anweisung des Papstes in den Petersdom. In 19 durchsichtigen Plexiglaskäsrchen verpackt, wurden sie jetzt mit dem Siegel Pauls VI. versehen, um schließlich in einer kleinen Prozession, begleitet von Gebeten, zurück zur „Mauer g“ getragen zu werden. Vorsichtig legte man sie zurück in das gleiche Marmorfach, in dem sie fast 1700 Jahre lang geruht hatten. Nur neun Knochenstücke fehlten. Sie hatte der Papst in ein silbernes Reliquiar einfügen lassen, das fortan in der Privatkapelle der Päpste stehen sollte.
Erst seit der Restaurierung der vatikanischen Nekropole im Jahre 2003 werden auf Führungen, die jeder Rombesucher im „Ufficio Scavi“ buchen kann, auch die Petrusreliquien wieder gezeigt. Doch es dauert bis zum 24. November 2013, dass sie erstmals der gesamten Christenheit präsentiert werden. Und auch das hat seine Geschichte.
Papst Franziskus besuchte am Ostermontag 2013 die Scavi
Pünktlich zur Wiedereröffnung der „Scavi“ im Frühjahr 2003 veröffentlichte ich mein Buch „Der erste Papst“. Es enthielt erstmals die ganze Geschichte der Entdeckung des Petrusgrabes basierend auf den Erinnerungen einer Augenzeugin, der späteren Kirchengeschichtlerin Eva-Maria Jung Inglessis (1920-2007). Kurz nach seiner Wahl, am Palmsonntag 2013, ließ ich Papst Franziskus über seinen Zeremoniar Msgr. Guido Marini ein Exemplar zukommen. Vielleicht gab es den letzten Anstoß dazu, dass er sich nur acht Tage später, am Ostermontag, von Kardinal Comastri, Bischof Lanzani von der Fabbrica und dem Vatikanarchäologen Dr. Pietro Zander durch die Nekropole führen ließ. Als er das Petrusgrab erreichte, kniete er nieder zum stillen Gebet. Am 9. November 2013 schließlich wies er an, die Petrusreliquien am Christkönigs-Sonntag zum feierlichen Abschluss des Glaubensjahres zur öffentlichen Verehrung auszustellen. Durch keine Geste hätte er die Authentizität der römischen Tradition besser belegen können. Denn Petrus ist auch heute noch der Fels, auf dem der Herr Seine Kirche baute (Mt. 16,18)!